Alfred Lang

University of Bern Switzerland

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Edited Book Chapter (in print) 1998 
Menschen als Schöpfer und Geschöpfe ihrer Kultur —

Herders evolutiv-dialogisches Menschenbild

1998-02 Herders Menschenbild 130KB

@GenAnthro   @CuPsyHist  @CuPsyBas
Vortrag im Collegium Generale Univ. Bern, November 1994. Fassung für den Druck in: Wolfgang Pross und Rupert Moser (Hrsg.) Herder und die Entstehung der modernen Wissenschaften vom Menschen. Bern, Peter Lang, 1998 (im Druck)
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First posted 1998

Revised 2002.11.12
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© 1960ff. by Alfred Lang
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Inhalt


Da wir alles mit Teilnehmung lesen, so ist uns Menschen die Geschichte der Menschen am angemessensten, am wichtigsten, am angenehmsten.

(Herder, 1764, Versuch einer Geschichte der lyrischen Dichtkunst. Hanser Ausgabe, Pross, Ed. 1:9) 

 

1. Die Frage nach dem Menschenbild

Haben wir nicht ein Sonntags-Menschenbild und ein Werktags-Menschenbild?

Ein Sonntags-Menschenbild, das von Würde und Freiheit redet; von der Einmaligkeit der individuellen Person und von der besonderen Stellung der ganzen Menschheit; vielleicht sogar von der Nähe der Menschen zu Gott. Und ein Werktags-Menschenbild, nach dem Menschen wie andere Ressourcen aufbereitet und genutzt werden, nicht wesentlich anders als irgendein Konglomerat aus Holz oder Metall, Kunststoff und Wasser: eine gesellschaftlich anerkannte Einrichtung, unter Berufung auf das Sonntags-Bild einigen gesetzlichen und moralischen Schranken unterworfen, doch eigentlich dazu anerkannt, um im Kampf um Ansehen und einen Platz an der Sonne von jedem, der es kann, benutzt zu werden, wie jeder Nutzer selber lieber nicht gerne benutzt werden möchte.

Ein Sonntags-Menschenbild für die Seele und ein Werktags-Menschenbild für den Leib und manchmal auch für den Geist. Ein Werktags-Menschenbild, für das die Naturwissenschaften und immer mehr auch die Sozialwissenschaften zuständig sind, die uns früher oder später alle wesentlichen Gesetzmässigkeiten aufzeigen wollen, nach welchen Menschen unter Einsatz einschlägiger Fachleute nutzbar und reparierbar sind. Und ein Sonntags-Menschenbild, in dem jede und jeder einmalig und unersetzbar ist und nicht ein Rädchen einer riesigen Maschinerie; und für das, wenn nicht Gott, einzig jedes Individuum selber zuständig ist. Und dann wissen wir nicht recht, ob wir unseren Geist, unsere Gefühle, unser Wissen und Können, unsere Person zum Sonntag oder zum Werktag zählen sollen. Wir leiden darunter, so zerrissen zu werden; aber wir mussten uns daran gewöhnen. Und so lassen wir die Fragen nach der menschlichen Kondition1 die meiste Zeit auf sich beruhen. Und pendeln zwischen dem Geniessen irdischen Glücks und der Leere und der Sinnlosigkeit dieses Lebens oder setzen auf ein besseres anderes Leben.

Mit einem brüchigen Menschenbild ist man heute in "guter Gesellschaft". Wer kann sich diesem Bruch entziehen? Mit dem gespaltenen Menschenbild leben wir Abendländer seit einigen hundert Jahren. Und versuchen es dem Rest der Welt aufzuzwingen. Und fangen erst neuerdings und nur zögernd an, in grösserer Zahl ein schlechtes Gewissen dabei zu entwickeln. Sollen wir auf die Generationen unserer Vorfahren mit Stolz oder mit Entsetzen zurückblicken? Sind wirklich erst die Atrozitäten des 20. Jahrhunderts so einmalig? Zählt die Zerstörung von tausenden verschiedener Lebensformen in den Kulturen der Welt weniger als die Vernichtung von Leben? Da wir doch behaupten, das Leben der Menschen habe anders als das der Tiere einen höheren Sinn? Wie werden unsere Kindeskinder uns in dieser Hinsicht beurteilen?

Wir wissen heute fast alles über die entferntesten Sterne, über die Rückseite des Mondes und die Tiefen der Meere; über die Vorgänge in den Zellen der Organismen und über die Leistungen und Schwächen des Immunsystems; über das Verhalten von Pinguinen und Schimpansen, über die Bauwerke und die Religion der Ägypter und der Azteken; über das Sexualverhalten oder den Konsum junger Erwachsener oder der Betagten… Wir untersuchen alle Teile unserer Welt und richten sie nach unseren Wünschen ein, bis auf das Restrisiko und die unvorhergesehen Nebenwirkungen. Aber verstehen wir die menschliche Kondition? Die Dinge, die wir zu beherrschen meinen, haben begonnen, sich gegen uns zu wenden. Warum oder wozu pflegen wir so seltsame Begierden und Ziele? Was soll unsere Gier nach immer mehr? Woher unsere Süchte, Ängste, Kriege, Unterwürfigkeit? Verstehen wir, warum in den industrialiserten Ländern immer mehr Menschen sich immer unglücklicher fühlen, obwohl sie über die komfortabelsten Lebensbedingungen verfügen, die es jemals auf diesem Planeten gab? Wohl kaum. Und so versucht man wie besessen, nach den Dingen auch noch die Menschen in den technischen Griff zu bekommen.

Diesen Bruch im Menschenbild verdanken wir wesentlich der sogenannten Aufklärung mit ihren beiden Zielen und Heils-Versprechungen: der Freiheit des Individuums und der Machbarkeit von Ordnung. Das rationale Denken und Ordnen der Gesellschaft befreie die individuelle Person; deren freie Entfaltung und Wettbewerb wiederum erzeuge grösstmögliches Glück und Gerechtigkeit für alle. Das erweist sich im Rückblick auch faktisch als der Widerspruch, der es logisch von Anfang an war. Denn absolute und einheitliche Vernunft impliziert notwendige Ordnung, Freiheit aller Einzelnen aber deren Gegenteil. Und je problematischer dieses janusköpfige Menschenbild sich auswirkt, desto heftiger versucht man es mit propagandistischen und "wissenschaftlichen" Mitteln zu sichern. Nicht dass ich die Aufklärung verurteile; ich weiss sie in mancher Hinsicht zu schätzen. Ich bin ihr Kind; und Kinder und können ihre Eltern nicht verleugnen, ohne sich selbst aufzugeben. Aber diese Mentalität verspricht mir persönliche Würde und nimmt sie mir zugleich, indem sie mich auf das Rad des Fortschritts spannt. Die Eltern achten heisst ihre Elternschaft auch überprüfen; daraus für eigene Elternschaft lernen. Früh hat man Kritiker des rein rationalen Menschenbildes zu Gegenaufklärern und Irrationalisten deklariert und verächtlich gemacht, obwohl zumindest einige von ihnen sich sehr gündlich Mittel und Wege ausdachten, die Spaltung von Werktag und Sonntag zu vermeiden.

Johann Gottfried Herder hat im späten 18. Jh. mit seltenem Scharfblick die menschliche Kondition erfasst und einen anthropologischen Entwurf ersonnen, den zu rekonstruieren sich lohnt. Dieser Entwurf ist bei näherem Hinsehen deutlich systematischer und wesentlich fundamentaler, als die Tradition der Herder-Forschung bis auf ganz wenige Ausnahmen vermuten lässt. Herder ist mehr als der Begründer von Sturm und Drang und ein Vorläufer der Romantik. Herder ist einer der bedeutendsten Philosophen der Neuzeit. Und unter den Anthropologen unter ihnen der originellste und gründlichste. Es geht um nichts weniger als um die Ablösung des dualistischen Weltbildes. Wie wäre es denn, fragt Herder, wenn man diese Welt hier nicht als blossen Schein oder Abglanz einer "wirklichen" und "ewigen" Welt verstünde, sondern die Tatsachen ihrer in die Zukunft offenen Entwicklung wirklich ernst hme?2 Und wenn man die Stellung des Menschen in der Welt nicht einfach zum vornherein als eine Sonderstellung setzte, sondern die menschliche Kondition im Ganzen der Welt ernstlich untersuchte und damit in die Lage käme, sie zu verstehen anstatt zu behaupten. Auf den Kern der Frage gebracht: Sollen die Menschen sich als Gegenspieler und potentielle Überwinder der Natur verstehen, oder sind sie ein Teil eines Ganzen und Mitwirkende in dessen Werden und Gestalt?

Die Entwicklung der Wissenschaften und insbesondere unser Denken über Menschen ist Herders Vorschlägen nicht gefolgt. Es hat seit seinen letzten Lebensjahren kaum mehr eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den diesen tieferen Gründen seiner Entwürfe gegeben. Zwei Jahrhunderte später kranken wir immer noch an den gleichen und massiv verschärften Paradoxien, die er entlarvt hat und durch eine klügere Sicht auf uns selbst ersetzen wollte. Heute ist uns zwar auch klarer geworden, dass wissenschaftliches Forschen nicht endgültige Wahrheiten liefern kann; und manche beginnen zu ahnen, dass Rationalität sich ebenso einseitig und folgenschwer auswirken kann wie blinde Emotionalität und Totalitarismus überhaupt, oder wie Konkurrenz aller gegen alle. Sollte sich zeigen, dass Herders Menschenbild im Unterschied zu dem vorherrschenden den geschilderten Bruch vermeiden kann, dann muss man es gründlich neu erwägen.

Inhalt

2. Was, wenn nicht mehr Gott die Welt garantiert?

Um Herders Menschenbild in seiner Tragweite erahnen zu können, ist eine Konfrontation mit gewohnterem anthropologischem Denken unumgänglich. In groben Strichen soll deshalb zunächst die Lage skizziert werden, in welche die abendländichen Menschen vom 15. ins 18. Jahrhundert mit dem zunehmenden Erforschen der Welt und der begleitenden Selbstreflexion gelangt sind. Als Stichfrage lässt sich sehen: Was, wenn nicht mehr ein Gott die Ordnung der Welt und der menschliche Kondition garantiert? Dabei sollten wir sehen, dass entgegen unserer üblichen Wissenschafts-Geschichtsschreibung lange Zeit die Ordnung der sozialen Welt das wichtigere Anliegen war als die Ordnung in der Natur.

Denn bei allen Kontroversen über Detailfragen verstanden sich die Menschen des abendländischen Mittelalters als Gottes Kinder auf dieser Welt. Damit war es überflüssig, die Dinge selbst verstehen zu wollen; denn auch sie waren in Gottes Hand. Das "Gesetz Gottes", in Teilen formuliert durch seine Stellvertreter auf Erden, in Teilen für unerforschlich erklärt, regelte alles. Das Gesetz Gottes war in erster Linie eine Norm für menschliches Handeln; und erst nach und nach wurde es auch als zusammenfassende Beschreibung dessen verstanden, wie die Dinge angelegt sind, als das Gesetz der Natur: also wie die Sterne sich bewegen, wie die Jahreszyklen sich folgen; wie Pflanzen und Tiere aufgebaut sind und wie sich sich verhalten. Der Mensch aber galt als Gottes Lieblingskind.

Doch einige Menschen kamen auf die Idee, "sich nicht länger vor Gott zu beugen, sondern über die Dinge", wie es Villém Flussèr (1994:9) sehr prägnant ausgedrückt hat. Und wenn Gott, wie Nikolaus von Cusa schon im 15. Jh. argumentiert, schliesslich auch nicht besser wissen kann als der Mensch, dass eins und eins zwei sind, so kann der Mensch ebensogut in jeder Hinsicht erforschen, wie die Welt funktioniert. Und bringt sich damit Gott gegenüber in eine perfide Klemme: je besser der Mensch die Natur versteht, ihre Gesetze formulieren kann, desto prekärer wird sein Verhältnis zu bestimmten Auffassungen vom Gott, desto problematischer wird er seinen Gott selbst und auch seine eigene Lage sehen müssen:

Gott mag die Natur eingerichtet haben; aber ist er jetzt der Sklave seiner eigenen Gesetzgebung? Oder wird Er, um Sich und der Welt Seine Allmacht zu beweisen, gelegentlich Abweichungen von den Gesetzen anordnen, willkürlich oder mit System? Oder muss Er Abweichungen zulassen, die vielleicht Sein Gegenspieler, der Teufel, Ihm abzwingt oder abluchst? (Die Geschichte von Hiob bringt da schon früher manches auf den Punkt.) Oder "würfelt" Er: ist Zufall ein Teil Seines Konstruktionsprinzips der Welt? Ist so auf Ihn noch Verlass? Oder sind vielleicht die Naturgesetze ebenso verlässlich oder, angesichts von Gottes Dilemma zwischen Freiheit und Allmacht, eigentlich verlässlicher? Und jedenfalls konkreter, detaillierter, einschlägiger, realistischer als die Offenbarung.

Und wenn die Natur gesetzlich ist, wie steht es mit den Menschen? Sind sie auch ein Teil der Natur, also auch gesetzlich; oder sind sie ausserhalb der Natur, in der Hand Gottes; oder ausserhalb der Natur und ausserhalb der Hand Gottes? Sind wirklich nur jene Kinder Gottes, die sein Gesetz des Handelns befolgen? Sind Menschen in der Natur Täter oder Opfer von deren Gesetzen, Subjekte oder Objekte des Geschehens; oder vielleicht beides? Können Menschen sich durch ihr eigenes Handeln von den Naturgesetzen ausnehmen? Alle oder nur einige Menschen? Von allen oder nur von einigen Gesetzen? Sind diese einigen Menschen dann Gott "gleicher" oder verlieren sie dadurch die Gotteskindschaft? Wenn einige Menschen Kinder Gottes sind, andere nicht: welche denn?

Lässt sich unter Menschen erträglich zusammenleben, wenn einige sich ihre eigenen Gesetze geben und versuchen, sich die andern Menschen und Teile der Welt zu unterwerfen? Sind die Fürsten "von Gottes Gnaden" wirklich Kinder Gottes, oder vielleich Werkzeuge der Naturgesetze oder vielleicht bloss ruchlose Egoisten, die solches bloss vorschützen? Wie steht es mit den Kirchenfürsten? Sind die Gesetze Gottes in den Formulierungen Seiner Stellvertreter auf Erden vielleicht nichts als solche Menschengesetze? An welche, wenn es denn verschiedene gibt, soll man sich halten? Warum nicht seine eigenen Gesetze durchzusetzen versuchen? Warum, wenn Gott Gesetze "setzt", sollen nicht seine Stellvertreter auf Erden genau das auch: Gesetze machen? Der Natur selbst mögen sie sich ja nicht aufzwingen lassen; aber lässt sich Natur nicht beträchtlich verändern? Technik, wenn sie sich an einige Naturgesetze hält, bringt ihre eigenen Gesetze, die Gesetze der Kultur, hervor. Und warum sollte, was für die Dinge gilt, für Menschen weniger gelten? Schliesslich sind sie nicht schwieriger formbar als manche Teile der Natur. Man muss dazu nur die geeigneten Gesetze für die Gesellschaft machen.

Solche Einsichten, die ich hier in heutiger Sprache auszudrücken versuche, müssen für manche Menschen des 18. Jh. äusserst verwirrlich gewesen sein. Und sind es natürlich heute noch, ob man den Namen Gottes für jenes garantierende Prinzip beibehalten oder stattdessen vom "Gesetz" spricht, vom Naturgesetz oder vom Sittengesetz. Schematisch kann man es auf zwei oder drei Alternativen zu Gott als Garant der Welt bringen. Jede hat ihre äusserst unbefriedigenden Konsequenzen. So besteht spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jh. für ehrliche Denker eine unerträgliche Situation:

(a) Eine durch und durch gesetzliche Welt im Sinne eines umfassenden Naturalismus wäre völlig unmenschlich und ist mit den verheissungsvollen Emanzipationsperspektiven unvereinbar. Die Welt als Mechanik, als Maschine, als ein gigantisches Uhrwerk; bloss, der Uhrmacher wäre jetzt nicht mehr der Gott, sondern die Notwendigkeiten der Naturgesetze. Kann die Uhr wirklich nicht "falsch" laufen? Dann müssen die Menschen ebenfalls Maschinen sein, auch in der Rolle als Hilfsuhrmacher, als ergänzende Maschinenbauer, die notwendig dem gleichen allgemeinen Gesetz gehorchen. Unerträglich aber ist das Maschinenprinzip für Menschen; und nicht vereinbar damit, dass Menschen verwantwortlich gemacht werden sollen für irgendetwas, was sie tun. Ob am Werktag oder am Sonntag.

Ein tolles Herrschaftsprinzip jedoch auch, dieser Maschinengedanke, wie unschwer zu ahnen ist. Also erst recht unerträglich für freie Denker, wenn nicht mehr nur kirchliche Instanzen die noch unbestimmten Gottesgesetze erlassen, sondern nun auch weltliche Autokraten und Oligarchen -- ich akzentuiere wiederum aus späterer Sicht -- mit erhobenen Standarten der reinen Rationalität die Macht beanspruchen, Wissenschaftler und Techniker zu ihren Zwecken in ihre Dienste nehmen und diese sich in deren Dienste nehmen lassen.

(b) Ebenso unerträglich wie die Vorstellung der Notwendigkeit aller Ereignisse, und ja offensichtlich auch unrealistisch, ist die Alternative einer rein kontingenten Welt, in der jederzeit alles geschehen kann, nach dem reinen Zufallsprinzip.

(c) Und am unerträglichsten vielleicht die Verbindung von Notwendigkeit und Zufall, das Maschinenprinzip mit einer Prise Chaos. Man mag Ausschnitte der Welt nach diesem Prinzip begreifen, in gewisser Annäherung etwa das Wetter, Rheumatimus, Todesfälle. Das Prinzip umfassend zu akzeptieren ist etwas schwieriger; und noch heikler, wenn nicht eben unerträglich, ist es in der Politik oder in der persönlichen Lebensgestaltung und in den menschlichen Beziehungen. Oder was sagten Sie, wenn Sie sich in einer heiklen Lebenslage auf Ihre Partner oder Ihre Freunde verlassen möchten und diese antworteten: heute verstrickt mich der Zufall gerade in etwas anderes. Notwendigkeit mit Zufall im Zusammenleben ist von Willkür oft nur schwer zu unterscheiden. Heutige Wissenschaft und Technologie folgen freilich genau diesem Gemisch.

Gibt es einen Ausweg aus dieser Klemme? Wie können die Menschen naturgesetzlich sein und dennoch als Menschen in ihrer Freiheit und Würde zugleich davon ausgenommen? Dieses Dilemma spaltet die schon in Leib und Seele Getrennten noch gründlicher. Vulgär-cartesianisch mochte man die Mechanik der res extensa akzeptieren wollen, solange die res cogitans noch von Gottes Gnade und Ordnung war. Aber res cogitantes in Gestalt von Millionen von losgelassenen und machtstrebenden Individuen und verstärkt mit technischen Mitteln der physischen Kräfte und der informatorischen Blendungen? Unter solchen Bedingungen lässt sich wohl nicht gut zusammenleben. Die immense Zahl der psychologisch-soziologisch-politologischen Traktate und anderen Produkte der literarischen und bildnerischen Einbildungskraft der Jahrhunderte von Calvin und Montaigne bis Montesquieu und Rousseau bezeugten schon damals eindrücklich, was wir heute als soziale Wirklichkeit erfahren können. Es geht eigentlich um das Sozialgesetz; in unserem Bild der Wissenschaftsgeschichte dominiert irrtümlich (mit Absicht?) das Naturgesetz.

Antworteversuche auf das Dilemma gibt es viele: lebenspraktische und künstlerische, utopische und realistische. Beschränken wir uns auf die diskursiven, seien sie wissenschaftlich oder philosophisch, was in jener Zeit schwer voneinander zu trennen ist, und besonders auf solche, die auf anthropologische Grundfragen fokussieren. Es lassen sich vielleicht zwei Grundmuster herausschälen.

Inhalt

2.1. Die Sonderstellung des Menschen beibehalten

Die einen versuchen die Sonderstellung des Menschen auch als eines Irdischen zu retten, indem sie die Idee der Transzendenz neu fassen. Sie nehmen die Spaltung des Menschen in Stoff und Geist in Kauf, ja sie machen sie zum progressiven Prinzip. Sie sagen zum Menschen, Du bist nicht nur frei und würdig als individuelle Person und die Achtung, die Du von anderen erhalten möchtest, musst Du den andern erweisen -- das ist der eine Strom der Aufklärung --; sondern Du besitzest auch einen Pass zur Wahrheit und zum Heil; nutze ihn, indem Du dich selbst maximal entfaltest und Dein wahres Selbst optimal verwirklichst -- das ist der zweite Strom der Aufklärung. Entgegen der landläufigen Auffassung gibt es keinen Grund dafür, diese beiden Prinzipien als ein einziges Aufklärungsprinzip, als notwendig miteinander verbunden zu verstehen. Das erste erwies sich als eine wirklich grosse, das zweite als eine nachgerade sehr zwiespältige, umnicht zu sagen mörderische Errungenschaft.

Kant ist wohl der meistbesprochene und der beredteste "Sprecher" eines solchen Rettungsversuchs einer quasi-göttlichen Ordnung. Ihr Schlüssel liegt im Prinzip der Vernunft, einer Begabung, die auf Erden ausschliesslich den Menschen zukommen soll. Den Menschen übrigens einfach als Angehörigen der Gattung; paradoxerweise also aufgrund eines biologischen Kriteriums. Woher sie ihre Vernunftbegabung haben, darüber schweigt sich Kant ebenso aus wie alle anderen vorher und seither. Halt wohl von Gott.

Kant schlägt mithin eine neue Form des credo quia absurdum vor, des ausgehaltenen Paradoxon. Die Spaltung geht jetzt nicht mehr einfach zwischen Gott und Welt oder durch Leib und Seele; sie ist raffinierter und abstrakter geworden. Die neue Grenze tritt zwischen die Sinne und den Geist, zwischen Erfahrung und Vernunft. Und an die Stelle der vermittelnden Zirbeldrüse tritt ein höchst paradoxes Prinzip der Überlagerung des Irdischen mit dem Ewigen. In den Kantischen Anschauungsformen und den Kategorien der Vernunft und in den reinen Schematismen des Verstandes sollen das Noumenale und das Phänomenale, das Zeitlose und das Irdische eine neue Ehe geschlossen haben, weitherum bewundert und nachgeredet, ob verstanden oder nicht. Oder, wie Herder bissig in seiner Streitschrift von 1799 gegen den Kantismus sagt: ein Luftwesen musste herabkommen, um zwischen zwei apriorischen Fiktionen, dem Empirischen und dem Transzendenten, zu vermitteln; eine "Zwischenleiter […], oben und unten an nichts" (Metakritik, 1799, SWS 21:113; DKV 8:414).

26 Karikaturen von Bernhard Leitner

Die Zeit Nr. 34 bis 43 vom 24. 8. bis 26.10.1962

"Ein Irrationalist" (Leitner) oder

Kantische Philosophie (nach Herder)

 

So haben Kant und seine Getreuen für die modernen Menschen den Dualismus "gerettet" und ihm seither zwei weitere Jahrhunderte fast vollständiger Dominanz gesichert. Nicht nur als eine fortgesetzte, wenngleich verschleierte Metaphysik, die in so harmlosen und den Wissenschaftlern so willkommenen Kleidern auftritt wie Raum und Zeit, Substanz und Kausalität, Leib und Seele, Objekt und Subjekt, Objektivität und Subjektivität u.dgl. Und mit dem Heils-Versprechen, sichere Letztbegründung menschlicher Erkenntnis sei möglich. Denn in manchen seltsam dialektischen Metamorphosen der vielerlei Varianten des Idealismus, des Positivismus und des Materialismus sind ja solche Vorstellungen die Grundlage der modernen Wissenschaften und sogar die Prinzipien der arbeitsteiligen Organisation und Sprachenspaltung der Wissenschaften der zwei Jahrhunderte seither geworden.3

Der Riss mitten durch den Menschen war mit diesem logico-empirischen Leim noch einmal gekittet. Riss und Leim wurden beide für Wirklichkeiten genommen und garantierten sich wechselseitig ihre Existenz. Das Finden der irdischen Wahrheit nach dem Verlust der göttlichen wurde zu einer Frage der Zeit und Beharrlichkeit deklariert. Die Forschung würde sie bringen, früher oder später, durfte man glauben. Man könne mit der Technik vorangehen, denn sie habe eine unerschütterliche, naturgesetzlich empirische und vor allem logische Basis. Dass nicht alles aufgehe, sei nur eine Unsicherheit auf Zeit. Je intensiver man in allen Bereichen forsche, desto rascher entstünden die Klarheit und das Heil.

Auch der Mensch selbst wird von vielen auf diese Weise in seiner Gesetztlichkeit für sicherbar gehalten; zwar auch noch nicht abschliessend gesichert, aber ebenso sicherbar wie das Funktionieren der Natur und der Technik. Das ist die Grundhaltung der modernen "Naturwissenschaften" vom Menschen, die oft "Sozialwissenschaften" genannt werden. Die sogannten Geisteswissenschaften vermochten das nicht aufzuhalten; denn sie reagierten auf jene Strategie mit Rückzug und Anpassung und hatten mit ihrem in viele Worten versteckten "Geist" keine technischen Erfolge vorzuweisen. Natürlich hat man sich nicht an Kants Anweisung gehalten, dass der Mensch, da apriorisch bestimmt, nicht wirklich oder nur obenhin empirisch erforschbar sei. Und so haben wir dann mit einem gewissen Verzug auch empiristische Psychologie oder Ökonomie und andere Menschenwissenschaften nach dem Modell der positivistischen Naturwissenschaften bekommen, welche -- da hatte Kant im Grundsatz eigentlich recht -- freilich nur Fiktionen zählen und messen.

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2.2. Der Mensch als genuiner Teil des Ganzen der Welt

Der zweite, der Herder’sche Antwortversuch mit seinen nicht selten rebellischen Vor- und Nachläufern ist im 19. und 20. Jh. im wesentlichen auf der Strecke geblieben, zur Aussenseitersache geworden. Diese Vortragsreihe wird verschiedene Facetten eines Verdrängungs- und Entstellungsvorgangs aufzeigen, welcher in manchen Sachgebieten um 1800 herum eingesetzt hat und zu so absurden Erscheinungen geführt hat wie der, dass Herder -- eigentlich ein früher Promotor von, sag ich mal, "small is beautiful" -- zum Bannerträger der nationalstaatlichen Gigantismen verdreht worden ist. Bis heute hat man ihn am leichtesten als romantisierenden Idealisten abgetan. Das Peinlichste ist dabei, dass man Herder, wenn man ihn überhaupt liest, im Normalfall von den Voraussetzungen der Kantischen Transzendentalphilosophie her beurteilt und ihm dann vorwirft, er habe Kant nicht verstanden. Mir kommt das vor wie die Verleugnung der Bioevolution auf der Basis der biblischen Genesis. Ich will Ihnen zu zeigen versuchen, warum ich Herder für den allergründlichsten Realisten halte und vielleicht den gründlichsten Systemtheoretiker bisher.

Herder, den selbständig werdenden Kant-Schüler in seinem 18. bis 20. Jahr, unterscheidet radikal von seinem als Mensch bewunderten Lehrer, dass er die Zeitlichkeit des Universums in jeder Hinsicht ernst nimmt anstatt sie auf eine subjektive Erscheinungsform zu reduzieren. Damit wird Herder zu einem eigentlichen Begründer systematisch evolutiven Denkens. Ein Jahrhundert vor Darwins Öffnung unseres Horizontes in Sachen Leben hat Herder eine Theorie der kulturellen Evolution und der personalen Evolution in ihrer wechselweisen Bedingtheit auf der Basis der Bioevolution entworfen. Diese Theorie ist fundamental ökologisch, dh sie betrifft den werdenden Verband der Menschen mit ihrer Welt. Ich habe sie mit Erstaunen und Erregung studiert, weil ich keine andere Theorie vom Menschen in seiner Welt kenne -- frühere oder spätere mit der Ausnahme derjenigen von John Dewey --, die ihr in der Stimmigkeit der Gesamtanlage gleichkäme.

Das Herdersche Denken ist aus seinen persönlichen und den Ausdrucksweisen seiner Zeit herauszudestillieren und mit modernem Wissen zu verbinden. Dies fordert allerdings einige Anstrengungen. Das gilt für ihn nicht anders als für andere ältere Texte. Ich wähle für mein al fresco Porträt des Menschenbildes dieses Weltweisen ein kombiniertes biographisches und systematisierendes Vorgehen. Bewusst drücke ich mich in einer modernen Sprache aus und übernehme nur die zentralen Herderschen Begriffe aus seiner Sprache. Mein Anliegen und Vorgehen ist nicht ein philologisches; mein Herder-Verständnis wird freilich mit philologischer Akribie am Korpus seiner Texte zu korrigieren sein, wie immer schwierig die Rekonstruktion des Gehaltes zeitbedingter Texte nun einmal ist. Vom Wettkampf ausgewählter Zitate gegeneinander halte ich jedoch gar nichts, wenn er ausserhalb von Konzeptionen des Gesamtwerkes stattfindet. Von den Ursprüngen von Herders Denken ausgehend will ich in den für eine kulturbezogene Anthropologie und Psychologie bedeutsamen Zügen eine Gesamtskizze entwerfen, eine "Allansicht" wie er gesagt hätte.

 

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3. Herders Konzeption vom evolutiven Dialog

Herder hat 1762-64, also etwa in der Zeit, als Kant die ersten Ansätze zur kritischen Philosophie entwickelte, in Königsberg Theologie studiert und ist eine Art bevorzugter Privatschüler des um 20 Jahre älteren Privatdozenten geworden. Offensichtlich ein ungeheuer lesehungriger und aber ebenso kritischer Rezipient und Verarbeiter des gesamten Wissens seiner Zeit war Herder am Ende dieser Periode nicht nur in die Grundzüge und -fragen der Philosophie eingeweiht, sondern auch ein kenntnisreicher "Naturwissenschaftler", nach einem Standard der Zeit, freilich, wie auch Kant selber, ohne eigene Experimentier-Erfahrung. Was Herder ganz besonders faszinierte, war Kants 1755 publizierte, aber infolge Verlegerbankrotts praktisch nicht öffentlich bekanntgewordene Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfasssung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt.

Hier hatte Kant in genial-spekulativer Weise die Prinzipien von Newtons Gravitationstheorie von den Planetenbewegungen auf die gesamte Sternenwelt ausgedehnt. Er hatte damit die antiken atomistischen Vorstellungen (etwa Lukrez) erneuert und spezifischer formuliert, indem er den Zustand, ja sogar den Wandel des Kosmos auf der Basis der atomistischen Grundanschauung als "bloss durch mechanische Gesetze" bedingt aufzeigte. Er verstand die Bildung der kugelförmigen Himmelskörper ebenso wie ihre elliptischen Bewegungsbahnen als Ergebnis des antagonistischen Zusammenspiels von Attraktionskräften mit dem Trägheitsprinizip ihres Bewegungszustandes. Er war nahe daran, eine evolutive Kosmologie zu entwerfen; aber man muss bedenken, dass eine öffentliche Diskussion evolutiver Perspektiven trotz der antiken Vorbilder im 18. Jh. noch fast in jeder Hinsicht unmöglich war, sofern es der Stellung der Menschen in der Welt nähertrat.

Während Kant von der Anwendbarkeit dieses immanent-mechanistischen Prinzips auf Himmelskörper überzeugt war, es aber ebenso dezidiert als Konstitutionsprinzip für Pflanzen und Tiere, geschweige denn für Menschen und deren Gesellschaften ablehnte, entwickelte Herder in kritischer Synthese und Fortführung von Ideen einer Reihe von Vorläufern (Shaftesbury, Hutcheson, Ferguson, LaMettrie, Condillac, Diderot, Bonnet, Robinet, Holbach, u.a.) nichts anderes als eine allgemeineVorstellung immanenter Organisation in ganzheitlichen Systemen von wechselweise aufeinander wirkenden relativ eigenständigen Systemteilen. Organisches Denkens wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jh. aus mechanistischen Prinzipien allmählich herausdifferenziert (Pross 1983/94). Herder führte es angesichts der fragmentarischen biologischen Kenntnisse der Zeit mit erstaunlicher Intuition für das Ganze durch und weitete es auf alle Lebens- und Kulturbreiche aus. Goethe folge ihm hierin in der Philologie und insbesondere in der Morphologie, dem Modell einer nicht nur kontext-sensitiven, sondern auch forscher-relationalen Naturwissenschaft. Das Hauptinteresse Herders war jedoch anthropologisch, er entwickelte eine allgemeine Sozialgeschichte und Theorie des Alltags oder einen dezidiert evolutiv angelegten Versuch, das Zusammenleben der Menschen aus dem wechselweisen Wirken der Menschen aufeinander, aus dem gemeinsamen Gestalten ihrer Umwelt und aus den Wirkungen dieser stark selbstgenerierten natürlichen und kulturellen Umwelt auf die Menschen selbst zu begreifen. Seine Philosophie handelt von den Entwicklungen der Menschen in den Gemeinschaften ihrer Kulturen.

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3.1. Herders Gottes- und Menschenbild

Das ursprüngliche Werden von Herders Vorstellungen können wir verhältnismässig gut rekonstruieren, insbesondere aus Exzerpten, Briefen und Kommentaren, die er 1768/69 kurz vor dem Ende seines fünfjährigen Aufenthaltes als Lehrer und Prediger in Riga und auf seiner Reise nach Frankreich geschrieben hat. Einiges davon ist auch, zwar noch vorsichtig, in seine frühen literaturkritischen und kunsttheoretischen Publikationen, insbesondere in die Fragmente über die neuere deutsche Literatur, eingeflossen, und hat bei sensiblen Lesern Aufhorchen bewirkt und den 25-jährigen zunächst anonym publizierenden Literaten und Weltweisen fast über Nacht berühmt gemacht.

Ein wichtiger Ausgangspunkt neben den erwähnten kantischen Kräftespiel-Vorstellungen ist Herders Studium von Leibniz’ und von Spinozas Schriften, welche er gleichermassen begeistert wie kritisch aufnimmt und sich insbesondere die Idee des inneren Zusammenhangs der Welt -- sehr wohl unterschieden vom inneren Zusammenhang unseres Denkens über die Welt, also des Symbolisierten von den Symbolen -- zu eigen macht. Mit bestürzender Gewissheit folgt er Leibniz’ bewundernswert umfassender Weltweisheit in einem entscheidenden Punkte nicht. Leibniz hatte in seinem Bemühen um Versöhnung der cartesianischen Dualismen keinen anderen Weg gesehen als den der "prästabilierten Harmonie". Das "Materielle" der Welt, atomistisch gedacht in Form einer unendlichen Menge von Monaden, und das "Geistige", gedacht als das dem Verhalten der Monaden zugrundeliegende "Programm" (würden wir heute sagen), könnten nur dann das tatsächliche Universum in seinem Weltlauf konstituieren, wenn gewissermassen jede Monade über das Verhalten jeder anderen Monade von Anfang und in jedem Augenblick ihres unendlichen Bestehens vollständig "unterrichtet" sei. Damit war das Organisationsprinzip der Welt zwar als Teil der Welt selbst, ihr immanent, aber doch zugleich als ein ihrem Lauf vorausgehendes und zeitlos Göttliches gedacht. Von Gott so eingerichtet musste daraus die "beste aller möglichen Welten" resultieren, von der auch wir Menschen ein Teil sind. Denn würde jede der Monaden völlig eigenwillig auf die anderen einwirken, so entstünde das totale Chaos.4 Die Monaden, sagt Leibniz in dem eingängigen Bild, haben keine Fenster; sie interagieren nicht miteinander, weder erfahrend noch bewirkend. Vielmehr agieren sie alle nach einem alle insgesamt lenkenden und in alle Ewigkeiten gültigen Plan Gottes.

Es lässt sich vielleicht auch heute noch nachfühlen, wie man sich als erwachender, seiner selbst in der Welt sich gewahr werdender Mensch gegen solche Vorstellungen, gegen solche "Selbstbindungen" Gottes sträuben kann, bevor man sich den Mehrheitsmeinungen und -forderungen mehr oder weniger gütlich anpasst. Und so versuche ich Herder zu verstehen, wenn er diese vorgeplante Welt und den Notwendigkeitscharakter ihres Gangs verwirft. Er glaubt vielmehr an sein eigenes Entwicklungspotential. Das geht nur, wenn der Verlauf der Dinge in der Zeit in der Zukunft nicht den gleichen Notwendigkeitscharakter hat als wie er in der Vergangenheit nachträglich erscheint. Aber so viele Dinge hätten wohl in der Vergangenheit tatsächlich auch ganz anders verlaufen können: kosmische und irdische, physische und soziale. Die Geschichte der Natur und die Geschichte der menschlichen Gruppen zeigt das eindrücklich genug. Ein vorgeplanter Verlauf der Dinge aber macht ein eigenes Leben unmöglich, macht Leben selbst unsinnig.

Herder denkt sich nach dem newtonisch-kantischen Modell der Gestirnsanziehungen und -abstossungen offenbar die "natürlichste" Alternative aus, die man sich nur vorstellen kann, ja, die man sich nicht einmal vorstellen muss, sondern die man jeden Tag, jede Minute in seiner Umwelt beobachten kann. Denn in der Tat wirken die Menschen aufeinander und machen durch ihr Einwirken auf Stoffe und Werkzeuge allerlei Dinge und Werke; und Menschen werden voneinander und von den übrigen Dingen der Welt beeinflusst und verändert. Eine Metaphysik einer uns unzugänglichen, uns aber angeblich bestimmenden zweiten Welt ist überflüssig; sie behindert bloss eine aufmerksame Beobachtung und klar gezogene Schlussfolgerungen über die Verhältnisse in dieser zumindest in manchen Hinsicht über unsere Sinne auf uns einwirkende und über unser Tun ebenso mit uns verbundenen Welt.

Menschen etwa, und auch alle andere von uns unterscheidbaren Gebilde der Welt, können im Leibniz’schen Sinn in irgendeiner Weise als Monadenkomplexe, als Monaden in einem Sinn umfassenderer Ordnung aufgefasst werden. Denn sie verhalten sich in Zeit und Raum kontingent, dh stets auch abhängig von anderen Monaden, aber nicht in jeder Hinsicht stets vollständig abhängig. Einfache Monaden wie Atome oder ihre Bestandteile, auch Moleküle, "wissen" zwar nicht alle alles voneinander; aber immerhin "wissen" sie soviel, bzw. sind so strukturiert, dass sie nur mit einigen Typen von ihresgleichen in charakteristischer Weise in Interaktion treten können, nämlich mit "Bindungen" und "Lösungen", mit anderen jedoch nicht oder nur in unspezifischer Weise wie in Stössen. Das Spezifische daran kommt etwa in den Reaktionsformeln der Chemie sehr klar zum Ausdruck. Komplexere Monaden, bereits Zellen, Organe, Organismen, und auch die menschgemachten Dinge wie Werkzeuge oder Tische und Häuser, können ebenfalls recht selektiv und spezifisch untereinander in Wechselwirkung treten und die Selektivität wächst ungefähr mit zunehmender Komplexität. Aber je komplexer diese Gebilde sind, desto häufiger "überraschen" sie einander immer wieder mal mit vorher unbekannten Wirkungen. Wäre anders das Leben überhaupt Leben? Und ist es nicht so, dass solche Gebilde, lebende und nicht-lebende, aus den Wechselwirkungen untereinander oft als veränderte hervorgehen? Also etwas "erfahren", was dem Lernen gleichkommt, insofern sich aus solchen Veränderungen ein verändertes Verhalten in anderen Interaktionen ergeben kann? Und ändert sich nicht dadurch immer wieder der Lauf der Welt, indem diese oder jene Gebilde auf einmal dies oder jenes "tun" oder bewirken, was sie vor diesem oder jenem Änderungsvorgang nicht hätten bewirken können oder anders "getan" hätten? Mit "Tun" meine ich hier einfach: Wirkungen generieren. Eröffnen sie nicht dadurch nie vorher gedachte Möglichkeiten für sich und andere? Was ist das für ein seltsamer Umweg, aus metaphysischen Gründen anzunehmen, die Monaden wüssten "eigentlich" alles zum vornherein voneinander, aber dieses Wissen wäre ihnen "verborgen", so dass sie einander nur scheinbar überraschen und erfreuen, nur nach "Programm" und eigentlich nur zum Schein einander verändern, erneuern oder zerstören könnten.

Man mag es Vorsehung oder Zufall nennen, wenn der 18-jährige Herder aus eher kargen Verhältnissen durch einen einquartierten russischen Militärarzt, der seine Begabung erfasst, zum Studium der Medizin nach Königsberg mitgenommen wird. Oder dass Herder am ersten Tag in der Anatomie schlecht wird, so dass er trotz seiner naturkundlichen Interessen halt in die zweite, für jemanden ohne Besitz überhaupt erreichbare akademische berufliche Laufbahn, das Studium der Theologie, wechselt. Aber diese beiden und viel mehr kontingente Ereignisse haben Herder und seinen Weg nachhaltig verändert und ihn später in andere Kontingenzlagen gebracht als ohne diese Zusammentreffen der Fall geworden wäre. Man beachte auch, dass in beiden Fällen nicht von reinem Zufall gesprochen werden kann; denn der Militärarzt "erkennt" Herders Begabung und Herder "ahnt" wohl, dass der naturwissenschaftliche und der ideenwissenschaftliche Weg nicht fundamental verschieden sind, sondern in ein Gebiet führen.

Aber kümmert sich denn der Gott um solche Kleinigkeiten? Er könnte doch solches den Menschen selbst überlassen. Wesentlich schlechter bräuchte es dabei nicht herauszukommen; jedenfalls nicht, wenn die Menschen sich einige Mühe gäben und besonnen vorgingen. Zum Beispiel können sie durch allmähliche und beharrlich Förderung bestimmter Umstände die Kontingenzwahrscheinlichkeiten ausgewählter Instanzen erhöhen oder senken und dadurch gewissen Möglichkeiten grössere oder gerinere Chancen einräumen. Seltener mögen auch grössere Weichenstellungen durch einsichtige Entscheidungen bewerkstelligt werden können. Auf diese Weise hat in der Vorstellung Herders Gott gewissermassen als Bestandteil der Einrichtung der Welt die Menschen als die ersten "Freigelassenen" eine gewisse Freiheit teilweise abgetreten und dadurch eigentlich selber an Freiheit erst gewonnen. Denn im besonderen wäre er durch diese Delegation seinem Dilemma zwischen seiner Macht und seinem Gerechtigkeitswillen entgangen. Nur geteilte und verteilte Freiheit ist wirkliche Freiheit. Ein Freier mit lauter Gefangenen eingeschlossen ist ein doppelt Gefangener. Es müsste für den Gott sogar spannend sein zuzuschauen, was die freigelassenen Menschen mit dieser ihnen verliehenen Freiheit anfangen.

Aber ich greife mit meiner Skizze des Herder’schen Seelenzustands ein wenig vor, obwohl der junge Lehrer und Prediger die wesentlichen Züge seiner Weltsicht mit 25 bis 30 Jahren gewonnen hat, offensichtlich nach intensivem und wiederholtem Ringen darum, nicht zuletzt auch mit Inspirationen aus der ihn faszinierenden hebräisch-biblischen Tradition.

Am übersichtlichsten tritt manches aus einem Briefwechsel von 1769 ans Licht, den er mit dem Philosophen Moses Mendelssohn aus Anlass von dessen 1767 erschienenen Schrift initiierte: Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele. Mendelssohn hatte hier in einem gewissen Kontrast zu seinem jüdischen Bekenntnis eine Variante der christlichen Auffassung von der puren diesseitigen und temporären Instrumentalität des Leiblichen für die Vervollkommung der unsterblichen Seele im Hinblick auf ihre ewige Weiterexistenz im Jenseits vertreten.

Herder beschrieb Mendelssohn im April 1769, ohne ihn persönlich zu kennen, in bestürzender Offenheit seine Schwierigkeiten mit dieser metaphysischen Fiktion: "woher, dass wir von einer ohne Körper bestehenden Menschlichen Seele wissen?" (Br. 58 vom April 69). Und er bat ihn um Hilfe bei der "Auflösung des Knote, der mir vorliegt" (Br. 76 an M.M. vom 1.12.69). Mendelssohn antwortete erfreulich konstruktiv, doch im Kern besserwisserisch.

Der angeblich höheren Zweckhaftigkeit von allem auf dieser Welt, welcher aber in keiner Weise bestimmbar sei, setzte Herder entgegen, dass eigentlich jede Erscheinung in der Welt ihren eigenen Wert und Zweck in sich trage, oder besser, im Verbund mit ihrer engeren Umgebung finde und immer auch zugleich Mittel sei zu den Zwecken anderer Erscheinungen. "Das Tier ist Zweck und Mittel, aber auf der Waage der Bestimmung nicht einen Gran mehr Mittel als Zweck. So auch der Mensch […] Alles in der Welt ist gut, und in seiner Essenz das beste und ist was es ist. Alle Kreise und Sphären in der Welt werden verrückt, wenn eine in die andere rückt, wenn der Mensch Engel, und der Engel ein Gott, und das Tier ein Mensch, und der Stein ein Tier werden soll […] Für diese Welt ist alles vollkommen; aber für die Zukunft ist Nichts, Nichts in der Welt vollkommen." (Br. 58) Es scheint hier die Idee der Palingenesie auf, also die Vorstellung, was immer sei, sei vorübergehend und in rastloser Bewegung, früher oder später zur Auflösung bestimmt, worauf die Teile zu ähnlichen oder anderen Neubildungen wieder verfügbar werden: also "Stirb und Werde!"

Der erste der beiden Briefe hat zweifellos auch einen jugendlichen Zug von "Geniesse hier dein Leben aus!", durchaus auch schon verbunden mit Erwägungen von ethischen und politischen Folgen. Aber die Radikalität dieser Position nimmt schon wenig später ab, insofern Herder von rastloser Kreisläufigkeit zu Vorstellungen gerichteter Entwicklung übergeht, nie aber zur auch heute noch gängigen Vorstellung eines bestimmten Endziels von Entwicklung, ob bestimmbar oder nicht. Sein Entwicklungsbegriff bleibt ein offener, ist nicht ein Fortschrittsbegriff auf das Beste und Grösste hin, sondern ein Weiterschreiten in unbekannte Zustände, wobei jeder Schritt sich hinterher als zum schlechteren oder zum besseren gehend erweisen kann. Das schliesst nicht aus, dass die Schritte und Zustände relativ zueinander einer Bewertung unterzogen und Präferenzen bestimmt, Wertorientierungen gesucht, Wege verfolgt oder vermieden werden .

"Erziehe Dich und andere für dieses Leben!" heisst es weiter in dem ersten Brief, "Sei mit deiner Natur, deinen Kräften, in jedem deiner Lebensalter, was du sein kannst und sollst. So und nicht auf andere Art hast du gelebt und kannst denn sterben. Du bist in den Händen Gottes." Herders Argumentation gegen Mendelssohn -- und das heisst natürlich gegen die vorherrschenden kirchlich-religiösen ebenso wie gegen die zeitgemässen philosophisch-metaphysischen und physiko-theologischen Konzeptionen Gottes und des Menschen -- läuft darauf hinaus, dass die Betrachtung des irdischen Menschen als reines Mittel zu einem ewigen Zweck, wie sie Kant später ins Zentrum auch seiner "kritischen" Anthropologie stellte, den Menschen abwerte und eigentlich nicht nur das Leben selbst sinnlos mache, sondern auch ablenke von tatsächlich möglichen relativen und selbstverantwortlichen Verbesserungen der menschlichen Kondition.

Und was heisst aber: "Du bist in den Händen Gottes"? Hier bleibt Herder radikal, zeit seines Lebens, so bin ich überzeugt, je länger ich ihn lese. Es heisst nicht: deine Seele ist in den Händen Gottes, ewig, und dein Leib wird dann beim Tod wieder Staub. Sondern Du als Ganzer, mit Leib und Seele, bist in den Händen Gottes. Warum sollst Du Dich teilen lassen, warum sollst Du die Welt als eine geteilte verstehen. Deine Dir eigene Stellung in dieser Welt und Dein Beitrag zu ihrer Verbesserung, sei es in Deinem kleinen Umkreis, sei es mit weltweiter Ausstrahlung, ist doch das, was Gott Dir aufgetragen hat. Warum willst Du für Dich ganz persönlich ewiges Leben? Warum willst Du nicht Deine besondere Stelle als unentbehrlicher Teil in einem Ganzen wirklich ernst nehmen und mit aller Verantwortung Deine hier besondere Aufgabe wahrnehmen. Ist nicht grössere Befriedigung darin, hier der zu sein der Du bist, anstatt auf ewig einer zu sein, von dem Du nichts weisst aber alles fingieren musst?

"Es dünkt mich zuerst gewiss, dass alle unser Ausbilden, Lernen, Fertigerwerden, nichts als eine Entwickelung der Kräfte sei, die in uns liegen, die wir ganz auf diese Welt gebracht, die das Wesen unserer Seele ausmachen." In diesem Satz, so unzulänglich, unbeholfen beinahe, er noch formuliert ist, steckt Herders neuer Seelenbegriff und sehr bald auch sein Gottesbegriff. Und die beiden Begriffe fallen dann eigentlich auch bald einmal in allem Wesentlichen zusammen. Denn das meint ja nicht eine zum vornherein persönliche Seele, unsere Seele, die wir hätten oder die uns hätte -- wer denn oder was hätte oder würde gehabt? --, sondern jene Konstellation von Stoffen und Kräften, jene umfassende Monade, jene Organisation (wie er es später bevorzugt nennt), welche werdend und vergehend, uns ausmacht, in all ihren Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten von nachbarlichen Konstellationen, seien sie als Steine, als Blumen, als Tiere, als Menschen oder als menschgemachte Dinge manifest. Und all dies in einem doppelten Sinne werdend: nämlich in diese bestimmte, einmalige und unfertige Form kommend durch Zeugung, durch Herstellung, etc. und in dieser Unfertigkeit weiterschreitend zu etwas geringerer Unfertigkeit, bei diesem Weiterschreiten Spuren und Wirkungen hinterlassend, die beim Werden anderer solcher Konstellationen eine Rolle spielen können, indem diese wenigsten zum Teil auch anders werden müssten, wenn unsere Konstellation nicht so, wie sie gewesen, sondern anders geworden wäre. Und Gott ist dann vielleicht so etwas wie die Gesamtheit aller dieser organisierten und organisierenden Kräfte, die im Lauf der Welt deren verschiedenartigste Konstellationen bedingen.

Damit lässt sich in aller Deutlichkeit feststellen: Herder gibt in diesen Jahren um 1769 die Idee eines persönlichen (und das ist: anthropomorphen) Gottes und ebenso die Idee eines transzendeten (jenseitigen oder ausserweltlichen, ausserzeitlichen, ausserräumlichen) Gottes im wesentlichen auf. Natürlich kann er in seiner Zeit und Rolle des Gebrauchs der christlichen Terminologie nicht entbehren.Und an die Stelle der Separierung der Welt in eine ewige, unveränderliche, letztlich stimmige und letztlich begründende einerseits und eine begründete, unstimmige, unsichere und vorübergehende irdische Welt anderseits setzt Herder die Vorstellung einer werdenden Welt, die aus den ihr immanenten Bedingungen, die ebendurch ihr Werden laufend auch ein wenig verändert werden, gerade zu dem geworden ist, was sie jederzeit ist; und die damit laufens ein neues Potential des Weiterwerdens in der generellen Richtung der einmal gewordenen Weise gewinnt, also keineswegs beliebig ist; von der aber dennoch niemand, auch kein Gott, wissen kann, wo sie hinlaufen wird (vgl. auch Lang 1997).

Herder wird damit zum eigentlichen Begründer eines völlig neuen, eines evolutiven Weltbildes. Seine Welt organisiert und reorganisiert sich aus dem Aufeinanderwirken ihrer jeweils gerade schon bestehenden Teile in einer in die Zukunft offenen Weise; und sie generiert fortwährend neue Teile und modifiziert und löst alte auf: nicht nach einem Plan, weder einem ihr inhärenten noch einem ihr transzendenten. Sondern deswegen, weil im Aufeinanderwirken von Teilen neue Teile generiert, bestehende modifiziert, andere aufgelöst, weil insgesamt grundsätzlich durch jedes Aufeinanderwirken gewisse Bedingungen für späteres Aufeinanderwirken gewandelt werden können und ebenso grundsätzlich jene Errungenschaften erhalten und weitergeführt werden, welche unter den gegebenen Umständen einen Sinn bekommen haben. Ob es sich um sprachlich Dialoge handelt, in denen Ideen weiterentwickelt werden, ob um Dialoge von Handelnden, die ein Werkzeug oder ein Werk machen und den andern "darbieten", die es dann aus ihren Erfahrungen damit schrittweise verändern, manchmal verbessern, manchmal verschlimmern und weiter darbieten, ob um Dialoge in denen Vorbilder aufgenommen, abgeändert, in ihr Gegenteil gewendet, behindert oder gefördert werden -- es geht allemal um dialogisches Anbieten und Aufnehmen (nicht Nachfrage) und um Versuchen und Verbessern (nicht Irrtum), um Entwerfen und Erschliessen neuer Möglichkeiten (nicht bloss Ausführung). Herder erfindet den Zweischritt, den Darwin fast ein Jahrhundert später als Variation (am Genom, wie man später erkennt) und Selektion (durch die Umwelt) für das Verständnis der Bioevolution einführt. In der Kulturevolution sind es Innovationsangebot und Bewertung; beides wird durch Individuen in den Gemeinschaften geleistet und resultiert in deren Traditionen. Herders evolutiv-dialogisches Welt- und Menschenbild ist nicht nur bemerkenswert, weil es ein Jahrhundert vor Darwin weit über den Darwinschen Horizont hinausgreifend formuliert worden ist; sondern auch, weil es ausgerechnet ein junger Philosoph und Theologe und künftiger lutheranischer Erzbischof und Verantwortlicher für die höhere Bildung ersonnen hat. Die Welt und die Menschen in ihr in ihrem Zusammenwirken verstehen zu wollen heisst mithin, die gesamten Wirkungszusammenhänge begreifen zu müssen.

Mit 25 Jahren fasst Herder seine Ideen in ein Arbeitsprogramm für sein Lebenswerk, notiert oder skizziert es in praktisch allen wesentlichen Zügen, einerseits in verschiedenartigen Texten und in teilweise sehr unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Sprachformen unter dem einen oder andern Aspekt, anderseits als ein Ganzes vor allem im Journal meiner Reise (1769). Es ist nicht nur ein philosophisches Programm im Sinne einer Konzeption einer realen Welt sondern schliesst seine praktische Verwirklichung über pädagogische und politische Vermittlungsprojekte mit ein: will eine Philosophie für das Volk sein.

Ein gigantisches Programm und ein anstössiges Programm, wie man sich leicht vergegenwärtigen kann. Man verbrannte zu seiner Zeit Menschen nicht mehr um solcher Programme willen; aber es war immer noch leicht wenn nicht gar leichter als früher, solche Ketzer und Zweifler an der bestehenden kirchlichen und weltlichen Ordnung in ihrer persönlichen und sozialen Existenz zu vernichten. Es ist ja nichts weniger als die eigentlich gemeinte und im Prozess gegen Galilei von ihm und gegen ihn instrumentalisierte Kopernikanische Wende, nämlich des Menschenbildes, nicht bloss stellvertretend der stellarisch-planetarischen Ordnung, die Herder vorschlägt. Herder gebrauchte diese Wendung spätestens 1765, kurz nach seinem Weggang von Kant und Königsberg in einem Entwurf, zu einer Preisschrift, übrigens auf eine Ausschreibung der Berner Patriotischen Gesellschaft von 1763 hin: "Wie können die Wahrheiten der Philosophie zum besten des Volkes allgemeiner und nützlicher werden." Darin heisst es:

"Alle Philosophie, die des Volks sein soll, muß das Volk zu seinem Mittelpunkt machen, und wenn man den Gesichtspunkt der Weltweisheit in der Art ändert, wie aus dem Ptolomäischen, das Kopernikanische System ward, welche neue fruchtbare Entwickelungen müssen [sich] hier nicht zeigen, wenn unsre ganze Philosophie Anthropologie wird." (DKV 1:134; SWS 32:61)5

Anthropologie heisst hier also gerade nicht die Zentralsetzung des Menschen um den alles kreist, sondern seine angemessene Plazierung im Ganzen der Welt. Charakteristisch auch, dass Herder im Titel seines Entwurfs den Ausdruck "Wahrheit" des Preisausschreibens weglässt. Wahrheit, ewige, sichere, verlässliche, ist ihm schon im Alter von 21 Jahren eher suspekt geworden.

Der "normale" Aufklärungs-Weltweise wird wohl, jedenfalls in seinem Werktagsdenken, auch den persönlichen, anthropomorphen Gott aufgegeben haben, nicht jedoch seinen transzendentalen und seinen zeitlos-unveränderlichen Charakter. Das "Quasi-Jenseitige", das Ausser-Raum-Zeitliche mit dem Anspruch einer umfassenden Begründungs- und Sicherungsfunktion bleibt erhalten, wie man leicht am Vernunftbegriff in Kants Transzendentalphilosophie und den meisten ihrer idealistischen oder positivistischen Weiterungen bis heute ablesen kann. Das ist entbehrliche Metaphysik, Fiktiv-Ontologie, wie sie Herder enthüllen und überflüssig machen wollte. Eigentlich war Ähnliches ja auch Kants kritische Absicht gewesen. Aber es macht wohl nur einen oberflächlichen Unterschied, ob ein "Letztes" in göttlichen oder in anderen transzendentalen Formen gesucht, und es führt nur in eine ebenso unentscheidbar kontroverse Debatte, ob es in der individuellen Vernunft oder im Weltgeist oder in anderen für absolut gesetzten Prinzipien wie dem des Naturgesetzes oder dem der logischen oder gar der geschichtlichen Notwendigkeit geortet wird. Es handelt sich allemal um menschliche Erfindungen in einer Sprache ohne Referenz auf von ebendieser Sprache unabhängige Entitäten. Solche Sprachspiele können nur mit ebensolchen in Austausch treten, jedoch an keiner Realität ausserhalb ihrer selbst, an keiner von ihnen unabhängig existierenden Wirklichkeit eine Prüfung oder Korrektur erfahren. Herder ist, so weit meine Kenntnisse reichen, nach Duns Scotus der erste und zusammen mit John Dewey der gründlichste ontologische Realist6 der gesamten abendländischen Philosophiegeschichte.

Die Folgen jener unterschiedlichen Konstruktionen für das Menschenbild und für die je aktuellen Rechtfertigungsstrategien menschlicher Herrschafts- oder Fortschrittsideologien sind freilich allemal ungefähr die gleichen. So will ich nun wiederum Kant als den artikuliertesten der zeitgenössischen Gegenspieler Herders zum Beispiel nehmend, in groben Zügen die anthropologisch-politische Auseinandersetzung kurz aufzeigen. Sie steht heute, nach zwei Jahrhunderten Wissenschaft, in keiner wesentlich anderen Lage als am Ende des 18. Jahrhunderts. 

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3.2. Menschenbilder in den politischen Kulturen

Kant kannte unzweifelhaft die meisten Herderschen Schriften sehr wohl. Nach dem Erscheinen des ersten Bandes von Herders grossem Hauptwerk, im Frühjahr 1784, den Ideen zur Philosophie zur Geschichte der Menschheit, schrieb Kant nicht nur eine anonym erschienene Rezension mit einem vernichtenden Urteil, sondern er publizierte auch gegen Ende 1784 unter seinem Namen eine kleine Schrift von heutigen 20 Druckseiten mit dem seltsam ähnlich klingenden Titel Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Die Schrift ist ohne explizite Bezugnahme auf Herder. Das ist zu einer Zeit in der alle Weltweisen nahezu alle einschlägigen Neuerscheinungen lesen und kennen, nicht auffällig; wohl aber erregen die inhaltlichen, zu Herders Menschen- und Staatsbild völlig konträren Thesen die Aufmerksamkeit. Ich greife zwei besonders aufschlussreiche Stellen aus Kants "gewissermassen […] Leitfaden a priori" zwecks Verdrängung der "bloss empirisch abgefassten Historie" heraus. In der achten These sagt Kant:

"Man kann die Geschichte der Menschengattung im grossen als eine Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen, um eine innerlich- und, zu diesem Zwecke, auch äusserlich-vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln kann." (Kant in Weischedel 9:45)

Das ist die menschliche Kondition nach dem Muster des barocken Gartens, aus dem letzten Endes alle Unkräuter entfernt werden, weil er so angelegt wurde und so sein soll. Und dabei ist der Mensch -- da man sich ja Gärtner im Überfluss leisten kann -- natürlich nicht nur der Zweck des Geschehens, sondern auch das Mittel zum Zweck. Aber was ist eigentlich der Zweck? In einem zweiten Zitat -- es handelt von der "Schwierigkeit dieser Aufgabe" -- sind die Konsequenzen dieser Konzeption zu lesen, die Kant peinlicherweise als ihre Voraussetzungen versteht.

"Der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter andern seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat. Denn er missbraucht gewiss seine Freiheit in Ansehung anderer seinesgleichen […]" (Kant, in Weischedel 9:40)

Und es folgen merkwürdige und teilweise übrigens durchaus auch un-kantische Rechtfertigungen von obrigkeitlicher Vernunft. Herder, nach Wiedergewinnung seiner Fassung gegenüber seinem als Person immer noch echt verehrten Lehrer, antwortet seiner Sache sicher im zweiten Teil seiner Ideen, indem er den kantischen Satz ohne Quellenangabe um eine andere Passage als Zitat ergänzt anführt und lapidar fortfährt:

"Kehre den Satz um: Der Mensch, der einen Herren nötig hat, ist ein Tier; sobald er Mensch wird, hat er keines eigentlichen Herren mehr nötig. […] Im Begriff des Menschen liegt der Begriff eines ihm nötigen Despoten, der auch Mensch sei, nicht: jener muss erst schwach gedacht werden, damit er eines Beschützers, unmündig, damit er eines Vormunds, wild, damit er eines Bezähmers, abscheulich, damit er eines Strafengels nötig habe." (Herder, Ideen II.9.iv, 1785; SWS 13:383f.; DKV 6:369, Hanser 3:337)

Um die Gegenüberstellung dieser beiden Menschenbild-Typen auf ihre Essenz zu bringen: Für Kant oder die Sicherungsorientierung gehorcht die Natur notwendigen Gesetzen. Doch ist der Mensch, obwohl auch Teil der Natur, nicht nur auf Freiheit angelegt, sondern auch den Wirrungen der Zufälle in der Natur, einer niederen Natur, unterworfen. Wie die gesamte Naturanlage muss er deshalb einem Naturjenseitigen, einem Transzendentalen, nicht nur unterworfen sein, sondern überdies in einer nur ihm eigenen Weise daran teilhaben. Erst in seiner menschspezifischen Sonder-Ausstattung mit Vernunft, einer höheren, die Natur eigentlich übersteigenden Natur, ist somit seine Freiheit begründbar. Die Freiheit begreift Kant als "eine Art von Kausalität, die aber empirischen Bestimmungsgründen nicht unterworfen ist" (KpV, 1788, A118). Das alles ist umso mehr paradox, als nach Kant die Vernunft selbst doch ebenfalls zeitlosen Notwendigkeitsgesetzen wie denen der Logik gehorchen soll. Es müsste demnach kantianisch zwei unterschiedliche Transzendentalbereiche geben: einen freiheitsbegründen und einen notwendigkeitserzwingenden. Doch postuliert ja Kant die Freiheit des Menschen vor allem im Hinblick auf seine moralische Verantwortlichkeit darin, im Zusammentreffen von Rationalität und Erfahrungswelt das Notwendige zu tun, tun zu sollen, tun zu wollen müssen oder tun zu müssen wollen. So wiederholt sich in Kant und seinen Nachfolgern das dualistische Credo quia absurdum der Scholastiker.

Für Herder oder die offen evolutive Orientierungist der Mensch Teil der gesamten Natur und mit dieser zusammen auf Wandel in der Zeit angelegt. Die Zeiten der Menschen und die Zeiten der übrigen Natur jedoch haben unterschiedliche Weiten. Für Menschen ist nur ein sehr kleiner Zeit- und Raumausschnitt gründlich genug überschaubar. Weder ist der Urprung der Welt bekannt, noch ihre Zukunft bestimmbar; wir Menschen können freilich Aspekte ihrer Geschichte in symbolischer Form begreifen, daraus Regelmässigkeiten und Bedingungs-Folge-Zusammenhänge erschliessen und uns damit Vorstellungen möglicher und unmöglicher, wahrscheinlicher und unwahrscheinlicher künftiger Entwicklungen des ganzen Geschehens machen. Als Teil dieser Natur und mit dieser Fähigkeit der Reflektion über die Natur und unseren Platz darin können wir überdies insbesondere mit unseren Händen und Werkzeugen und durch zeichenvermitteltes gemeinschaftliches Handeln in den Gang der Welt eingreifen, die Natur damit teilweise zur Kultur überformen.

Menschliche Freiheit beruht in dieser Auffassung auf zumindest teilweiser Ablösung der beim Tier ziemlich zwingenden Instinkt-Einbindungen in ihre je artspezifische Umwelt. Herder hat einen ungewöhnlich modernen Instinktbegriff: Instinkte sind ihm angeborene Einrichtungen, in lebenswichtigen Situationen, welche an ihren Merkmalen erkannt werden, situationsgerecht zu agieren.

Der Mensch "hat alle Instinkte, die ein Erdetier um ihn besitzet; nur er hat sie alle seiner Organisation nach zu einem feinern Verhältnis gemildert. […] Entweder muss ihm also die Vernunft als ein Instinkt angeboren werden, was sogleich als Widerspruch erhellen wird, oder er musste, wie es jetzt ist, schwach auf die Welt kommen, um Vernunft zu lernen." (Ideen I.4.iv, 1784; SWS 13:142f.; DKV 6:142ff.).5

Diese neue Organisation der Instinkte zusammen mit individuell erworbenen Handlungsmöglichkeiten wird dadurch erreicht, dass der Mensch probiert und aus den Fehlern und durch Übernahme von den anderen in der Gemeinschaft lernt. Der zentrale Begriff dieser Neuorganisation des Menschen im Vergleich zu der "noch nicht zur Vernunft gereiften Tierseele" ist die Besonnenheit, im Rahmen des Natur- und Kulturmöglichen in Ansehung der wahrscheinlichen Folgen wählen zu können und wählen zu müssen, wie wir in unserer natürlichen und kulturellen Umwelt handeln wollen. Dies ist genuin ein gemeinschaftlicher Prozess, die spezifisch menschlichen Einbindungen daher entscheidend sozialem Charakters. Insofern Menschen als Einzelne und in ihren Gemeinschaften jeweils andere Optionen bevorzugen können, ist die menschliche Kondition eine sich ständig differenzierende und damit nicht als ein definites Ziel zu bestimmen. Auf Bestehen in einer näheren und ferneren Zukunft orientiert ist sie im Einzelnen fortwährend neu zu bewerten und einzustellen. Herder Humanitätsbegriff kennzeichnet diese Wertorientierung an wie immer begrenzter Einsicht in die wahrscheinlichen Bedingungs-Folge-Zusammenhänge verbunden mit wie immer begrenzten Handlungsfreiheiten und der daraus entstehenden individuellen und kollektiven Verantwortung für zumindest die absehbar möglichen Folgen.

Für Herder ist Besonnenheit oder Vernünftigkeit mithin nicht eine Setzung, sondern eine Emergenz einer besonderen Komplexität, welche die menschliche Gattung im Unterschied zu allen anderen Tieren erworben hat. Vernunft ist undenkbar ohne ihren Träger; und das sind nicht in erster Linie die denkenden Subjekte, sondern die bedeutungsvollen Symbole in der Form von Erfindung und Kultivation symbolischer Welten, insbesondere in der Sprache. Es sind diese Welten, ob sie den Individuen privat gehören oder, wie die Mehrheit dieser Strukturen, in den Gruppen gewonnen und tradiert werden, welche Vernunft ermöglichen, aber keineswegs garantieren.

Herder sind alle dualistischen Denkmodelle von Grund auf suspekt; denn sie sind grundsätzlich anti-evolutiv. In wie weitgehender Parallele Herder die evolutive und semiotische Weltsicht von Charles S. Peirce (1839-1914) vorweggenommen hat bedarf gründlicher Untersuchung. Hier sei nur auf beider Weigerung hingewiesen, die menschliche Person, das individuelle Subjekt als ein a priori aller Erkenntnis zu akzeptieren. Beide verstehen die individuelle Person, die Persönlichkeit oder das Selbst, obwohl sie allgemein für das zentrale Apriori des modernen Menschenbildes gehalten wird, in der Hauptsache als eine Oberflächenerscheinung. Bei genauerer Betrachtung sei sie ein lebenslang Werdendes und daher nicht Vorauszusetzendes. Sie sei weder scharf von ihrem Umfeld abzugrenzen noch auch nur entfernt ein so Einheitliches und Einheit Stiftendes, wie das unser Wunschdenken uns vorgaukle. Die nachstehenden drei Zitate können vielleicht das Wesentliche zusammenfassend und vergleichend evozieren.

Kant: "[…] was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, […] ist nichts anderes als die Persönlichkeit, das ist die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von einer eigenen Vernunft gegebenen reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört. […]." (KpV, 1788, A155)

Herder: "Wir selbst sind nur als Glieder einer grösseren Kette da, ohne welche weder unser Verstand noch unsere Vernunft stattfänden. Wir existieren nur als ein Besonderes im Allgemeinen." (Metakritik, 1799; SWS 21:207; DKV 8:508)

Peirce: "Sense […] presents, in the third place, a manifold of consciousnesses, now segregated into distinct persons, as it seems to us. And in this seeming there is some truth, much truth, although personality, on both sides, that of the unification of all of a body's experiences, and that of the isolation of different persons, is much exaggerated in our natural ways of thinking, -- ways that tend to puff up the person, and make him think himself far more real than he veritably is. A person is, in truth, like a cluster of stars, which appears to be one star when viewed with the naked eye, but which scanned with the telescope of scientific psychology is found on the one hand, to be multiple within itself, and on the other hand to have no absolute demarcation from a neighhoring condensation." (Grand Logic §17, 1893, Robin Ms. 403)

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3.3. Herders anthropologisches Programm

Ist Herders anthropologisches Programm realistisch, ist nun zu fragen? Ist nicht wirklich der Mensch von Grund auf schlecht und bedarf des Gesetzes, wie die Menschengeschichte reichlich belegt? Ist nicht der Mensch, werden andere fragen, von Grund auf gut und haben ihn nur unsinnige Umstände immer wieder korrumpiert und zum Wolf seiner selbst gemacht?

Ist das nicht, werde ich gegen beide geltend machen, eben einer dieser dummen Dualismen, in denen wir uns haben fangen lassen? Also am Sonntag gut und am Werktag schlecht. Oder vielleicht umgekehrt: am Werktag gut, indem er am Fortschritt schafft, am gigantischen Werk seiner grossen Zukunft? Wie kann er sich nur leisten, es am Sonntag gut haben wollen?! Ach, er arbeitet besser und effizienter, wenn er sich zyklisch ausgeruht hat. Schneller, grösser, teurer, höher, globaler, raffinierter, -- mörderischer! Die Welt hienieden ist eben wirklich nur ein Mittel. Aber zu welchem Zweck denn eigentlich?

Ist Herders Menschenbild, in dem es weder eine Sonntags- noch eine Werktagsversion gibt, lebbar, ist weiter zu fragen? Wir brauchen doch Ziele! Wir müssen wissen wo’s lang geht! Wir brauchen sogar Ideale, müssen uns genereller orientieren können; wir müssen bewerten können, ob wir uns dem Richtigen annähern oder von ihm entfernen!

Aber wer bewertet denn was von welchem Standpunkt aus, werde ich dagegen fragen. Ist denn die Atomspaltung für das Wachstum und für den Krieg, die Reparaturmedizin zum nackten Leben um jeden Preis, die Rechtsverdichtung zu immer engeren Abhängigkeiten, Technologie und Kommerz für immer grössere Binnenwirtschaftsräume und globalere Konkurrenz ein Fortschritt? Und worauf hin? Ein Gewinn für die Lebensqualität -- oder für das Krankwerden und Unglücklichsein und die wachsende Armut an innerem Wert für eine immer grösser werdende Zahl von Menschen? Für wen haben diese Ziele welchen Wert? Wessen Idealen dienen sie?

Natürlich sind das alles nicht Fragen, die ich oder sonst jemand verlässlich beantworten kann. Ich kann nur darauf hinweisen, dass wir uns mit dem angeblich letztbegründeten Menschen- und Weltbild und mit letzten Werten, sei es aus Gott oder aus der Vernunft, aus Naturgesetzen oder aus Sozialgesetzen begründet, wohl in mancher Hinsicht ganz gründlich verrannt haben. Es kommt vermutlich nicht ganz von ungefähr, dass Herders Alternative eines menschlicheren Menschenbildes verdreht und heruntergespielt oder verunglimpft wurde. Es ist noch neu zu entdecken!

Gewiss ist hier nicht Zeit genug, Ihnen ein detailliertes Bild von Herders Vorstellungen von den Wirkungszsammenhängen dieser Systeme zu vermitteln, in denen Menschen auf dieser heutigen Erde ihre und des Planeten Oberfläche Geschichte machen; und die ebenso sehr auf ein Verständnis des erkennenden und fühlenden und handelnden Einzelmenschen wie auf das seiner gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen, einschliesslich deren religösen Einbindungen abstellt wie auf die Naturerkenntnis seiner Zeit und auf die Vergleiche der verschiedenen Lebensformen auf der Erde anhand der damals verfügbaren ethnographischen und geographischen Forschungen; und die ebensosehr gegründet sind in den weitreichendsten Einsichten in die Bedeutung der Zeichensysteme für die Existenz des homo symbolicus, nicht nur, aber dies in besonders pionierhaften Weise, der Kunst und der Sprache, der alltäglichen wie der poetischen; wie sie auf sehr gründlichem Durchdenken von ethischen und politischen Bewältigungsstrategien unserer sozialen Existenz beruhen.

Es wäre auch äusserst reizvoll, Herders Menschenbild zu konfrontieren mit weiteren Versuchen der letzten zwei Jahrhunderte, den Dualismen zu entkommen; oder mit Menschenbildern anderer Kulturen, die den Dualismen nie so weitgehend wie unsere abendländischen verfallen sind. Ich kann es nicht lassen anzumerken, dass 100 Jahre nach Herder der Amerikanische Universalgelehrte und Philosoph Charles Peirce ohne Kenntnis von Herders Texten eine bis in manche Einzelheiten unglaublich analoge dialogisch-evolutive Sicht der Welt entwickelt hat und insbesondere die von Herder formal eher latent gehaltene Zeichentheorie in den entscheidend neuen, dem Herderschen Denken voll affinen Linien begründet hat. Und dass Peirce's bedeutendster Fortsetzer, John Dewey, Herder gut gekannt und verstanden hat.

Was ich hier tun kann, ist in ein paar knappen Sätzen zusammenzufassen wie Herder über die Menschen in ihrer Welt denkt.

1. Die Welt einschliesslich der Menschen muss als etwas in Entwicklung Begriffenes verstanden werden.

2. Auch wenn ein Göttliches sie eingerichtet haben mag, ist unübersehbar, dass ihr Verlauf nicht vorgeplant, sondern offen angelegt ist, dergestallt, dass es Gott sozusagen selber interessiert zu sehen, wie es weitergehen wird.

3. Die grosse Kette der Wesen (Pope) ist von den mineralischen zu den vegetabilen zu den animalischen zu den humanen Formen unverkennbar auf Stufen von zunehmender Komplexität angelegt, allerdings nicht simpel linear auf Fortschritt.

3.1. Natürlich fehlt Herder wie allen vor Darwin eine spezifische Vorstellung von Bioevolution; doch ist eigentlich kein Zweifel, dass er mit anderen seiner Zeitgenossen die Menschen aus den höheren Tieren hervorgehen lässt und sie demnach als evolutive Emergenz denkt.

3.2 Ebenso fehlt ihm eine biogenetische funktionelle Anatomie, welche die intrahumanen Prozesse adäquater einordnen helfen. So kann er tollkühn behaupten -- mir scheint, abgesehen von auch strukturellen Errungenschaften wie dem Sprachhirn, eigentlich zu recht --, es brauche für den Menschen keine besondere höhere und völlig neuartige Ausstattung (zB mit exklusiv menschlicher Vernunft, etwa wie sie Kant postulierte), sondern bloss eine neue Organisation dessen, was auch komplexeren Tieren schon eigen ist; das führt wie zuvor in der Bioevolution, durchaus auch zu qualitativen Veränderungen.

4. Was Menschen auszeichnet, ohne sie der Welt als einer ganz anderen zu entheben, ist eine emergente Neu-Organisation jener Ausstattung, die "der Mensch als Tier schon hat". Ihr sichtbarster Ausdruck ist die Sprache und die Herstellung und der Gebrauch von Werkzeug und damit eine Organisation des Zusammenlebens, welche als eine kulturelle die instinktgetragene Weise überformt . Die Grundlage dieser Neu-Organisation behandelt Herder in den beiden Konzepten der Besonnenheit und der Humanität.

4.1. Besonnenheit (Reflexion) entspringt dem Umstand, dass die Menschen im Vergleich zu den höheren Tieren so komplex geworden sind, dass die artspezifische Eingebundenheit ihres Reagierens auf die je spezifischen Lebenssituationen (also das Instinktverhalten) zu auseinanderstrebenden, ja konfligierenden Akten führen müsste. Dem kann durch innere und äussere Symbolisierung, durch Versammeln, Vergleichen, abstandnehmendes Bewerten und besonnenes Auswählen der handlungsleitenden Impulse und des Wissens über die Welt begegnet werden. Damit wird der Mensch zum selbst-reflexiven Wesen.

4.2. Humanität ist Herder ein Rahmenbegriff für die Bewertung besonnenen Agierens. Und zwar eine bewusst vage bleibende Vorstellung dessen, was die "freigelassenen" Menschen auszeichnet und ihrer fortwährenden Menschwerdung eine Richtung gibt und Orientierung im weiteren Umfeld verleiht. Humanität ist nicht Telos im Sinne eines zu erreichenden Ziels, wohl aber Richtunggebung, das heisst Kriterium für die relative Bevorzugung der jeweils menschlicheren aus allen offenstehenden Optionen. Nichts wäre verkehrter, als dies ein für allem festlegen und unter veränderten Verhältnisse beibehalten zu wollen.

5. Herders Psychologie, also seine Auffassung des Zusammenspiels jener psychologischen Funktionen der Menschen, die ihr humanitätsbestimmtes In-der-Welt-Werden "durchführen", ist vom Gedanken der Untrennbarkeit von deren Zusammenspiel bestimmt. Als Grundfunktionen erscheinen (a) eine empfindend-fühlend-bewertende, (b) eine unterscheidend-erkennend-ordnende und (c) eine entscheidend-wollend-agierende. Herder akzeptiert nicht, dass eine der drei den andern übergeordnet werden könne. Sie sind alle nur in enger Verbindung mit der Welt zwischen den Menschen zu begreifen. Herder verfügt im wesentlichen über den arten- und kulturspezifischen Umweltbegriff, den von Uexküll nach 1900 entwickelt und belegt hat; und er operiert mit einem dem Instinktbegriff der modernen Ethologie vergleichbaren Konzept als Grundlage der individuell und kulturell zu erwerbenden und zu erweiternden Neu-Organisation der psychischen Funktionen.

6. Die in unserem Zusammenhang der modernen Psychologie vielleicht überraschendste wie für Herder ebenso selbstverständliche Einsicht betrifft das Werden und die Differenzierung von Kultur aufgrund von dialogisch-evolutiven Strukturbildungsprozessen in und zwischen den Individuen im menschlichen Zusammenleben. Handelnd bietet einer oder eine ein konkretes neues Gebilde an, etwas vom bisherigen mehr oder weniger, aber nie total Abweichendes. Wird ein solches Gebilde oder Derivate davon von andern nicht liegengelassen, sondern aufgenommen und zurück- oder weitergegeben, so wird solches bald einmal zum Bestandteil eines Repertoirs von Interaktionsformen, aktuell-interaktiven oder ein über zeitlich andauernde kulturelle Gebilde (Zeichen) symbolisch vermitteltes. Der Vorgang ist der gleiche ob er Sprechlaute, Gesten, Werkzeuge, Kult- oder Kunstwerke, sinntragende Gebilde anderer Art oder irgendwelche Momente betrifft, deren Insgesamt im Zusammenspiel mit den Menschen wir Kultur nennen. Herder hat das am eingehendsten am Fall der Sprache durchgedacht; sein Versuch einer Verallgemeinerung auf Zeichenprozesse überhaupt ist offensichtlich, aber in Ermangelung einer dazu geeigneten Semiotik nicht im Einzelnen durchgeführt.

7. Individuelle und Kulturelle Differenzierung im Zusammenspiel: Herders dialogisch-evolutive Kulturpsychologie führt zu Beschreibungen und Bewertungen individueller und kollektiver Lebensformen, welche den heutigen Gleichberechtigungsforderungen und Anerkennungsberechtigungen weitgehend entsprechen. Herder sieht die Erwünschtheit von überschaubaren Gemeinschaften mit Chancen zu wechselseitiger Beeinflussung von Individuen, welche sich gegen mächtige Einflussnahmen von ausserhalb schützen können müssen, gleichgewichtig mit der Notwendigkeit zwischenindividuellen und zwischenkulturellen Austausches. Er sieht ebenfalls Chancen in der Möglichkeit, die Grade relativer Dominanz individueller oder kollektiver Ansprüche laufend entsprechend der jeweiligen Gesamtlage einer Gruppen neu regulieren zu können.

 

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4. Realistische Anthropologie oder Oekologie -- eine Kernwissenschaft

4.1. Herder und die heutigen Wissenschaften vom Menschen

Wie kommt ein Psychologe, der sich als empirischer Wissenschaftler versteht, dazu, wird man vielleicht fragen, sich zum Sprachrohr Herders zu machen und seine "verstaubten" Schriften zu studieren? Das kann ich zunächst am leichtesten mit einer persönlichen Geschichte erleuchten.

Als junger Psychologe habe ich meine Fachkollegen und mich selbst, etwas anmassend vielleicht, als "Pioniere" betrachtet. In der grossen Entwicklungsgeschichte der Wissenschaften war die Hochzeit der grundlegenden Erkenntnisse der physikalischen Wissenschaften mit dem 19. Jh. zu Ende gegangen. Das 20. Jahrhundert gehörte immer mehr den biologischen Wissenschaften; man verstand zwar Leben nicht; aber man wusste damit umzugehen; man erkannte, wie dieses und jenes funktioniert; und man lernte immer gezielter einzugreifen. Die nächste Aufgabe war nun also zu verstehen, warum Menschen gerade so handeln wie sie handeln, als Einzelne: der Bereich der psychologischen, und als Gruppen: der Bereich der soziologischen Wissenschaften. Die Aufgabe stand noch ganz in ihren Anfängen. Als Assistent "versprach" ich meinen Studenten und Studentinnen, die Psychologie werde die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts sein.

Mit wachsenden Kenntnissen und gründlicherer Reflexion wurde mir zunehmend klarer, wie irrelevant, wie trivial und wie verstiegen -- im Verhältnis zu meinen humanistischen Idealen -- die tatsächlichen psychologischen Wissenschaften eigentlich geworden waren, sich selber im Lauf der Jahrzehnte gemacht hatten. Nach dem Vorbild von Stoff- und Energiewissenschaften untersuchten diese Wissenschaftler "Zweige" und "Blättchen"; vom "Wald", in dem diese wuchsen, hatten sie sich ein für allemal ein Grobschema gemacht, um ihre Arbeitsteilung zu erleichtern. Der Wald als ganzer, seine Bedingungen im Erdreich und im Klima, die hunderterlei Symbiosen und Antagonismen der Waldgemeinschaft, der ganze Reichtum des Waldes blieben ausserhalb ihres Interesses.

Eines Tages, anf einem Fakultätsabend, es muss etwa 1989 gewesen sein, erzählte ich einem neu in die Fakultät eingetretenen Germanistenkollegen von meinem Unbehagen am nichtreflektierten und implizit mechanistischen Menschenbild dieser Wissenschaft und von den tastenden Versuchen unserer Gruppe im Gegensatz dazu, die Menschen zusammen mit dem von ihnen selbst miterzeugten Milieu, ihrer Umwelt und Kultur, zu verstehen. Ich erzählte von unseren Untersuchungen über die gemeinsamen Entwicklungsprozesse, zum Beispiel, welche Menschen und Menschengruppen zusammen mit ihrem Wohnhaus und ihren Dingen zeigten, wenn man sie im bezug aufeinander anstatt separat als Subjekt und Objekte untersuchte. Ich erzählte, wie eine neu dazukommende Person in einer Wohngruppe genau wie eine neue gestellte Aufgabe einer Wohngruppe nach Änderungen der Wohnung oder der Einrichtung rief und wie, wenn Neugestaltungen in bestimmter Weise erfolgten, oft Rückwirkungen auf die Menschen selbst entstanden, welche keiner geplant noch erwartet hatte. Ich sagte wohl auch, es schiene mir je länger je weniger klar, dass man Menschen, wenn man sie in ihrer Existenz zu begreifen versuche, so einfach aus ihrer Umwelt auszugrenzen, etwa mit dem Organismus gleichgesetzt werden könnten. Wesentliche Aspekte dessen, was sie als Personen in ihrem Sein und Werden ausmache, seien eher zwischen den Organismen, in den Räumen und Dingen, in den Gehalten ihrer kulturellen Umwelt auszumachen. Denn wenn man ihnen diese Dinge wegnehme, oder ihnen andere aufzwinge, zum Beispiel ihre Dörfer zerstöre und sie in Vorstädten ansiedle, würden sie ja ziemlich rasch ganz andere Menschen. Das zeige auch, dass menschliche Gemeinschaft, zum Beispiel, nicht einfach als sekundärer Zusammenschluss von autonomen Individuen verstanden werden könne. Und so weiter.

Darauf sagte mein Kollege, es war natürlich Wolfgang Pross, der Veranstalter dieser Vortragsreihe und augenöffnende Herder-Herausgeber und -Kommentator, das interessiere ihn sehr; denn wie ich redete, hätten eine ganze Reihe von Gelehrten des 18. Jahrhunderts gedacht und geschrieben. Leider sei das weitgehend in Vergessenheit geraten. Ich solle Herder lesen, der habe all dies in genialer Weise in ein Ganzes gedacht.

Das Einlesen war nicht einfach. Aber nach dem Einleben in seine Denkweise, dem Vertrautwerden mit seinem Sprachgebrauch, nach dem Kennenlernen der wichtigsten Rahmenbedingungen von Herders Zeit -- immer wieder unter kundiger Führung meines Mentors -- erwies sich die Anstrengung als ungewöhnlich lohnend. Da hatte einer, was wir in unserer Gruppe noch vage herausgebildet und in manchen Einzelheiten zwar einigermassen klar, in anderen lückenhaft und ungewiss zu entwickeln versuchten, schon vor zweihundert Jahren in ein überzeugendes Gesamtbild gebracht. Das bekräftigte; und das sensibilierte.

Was ich bei Herder und anderen Weltweisen seiner Zeit lesen konnte, widerlegte auch klar den Mythos, den sich die Psychologen über den Ursprung ihrer Wissenschaft zurechtgelegt haben. Die Psychologie war nicht im späten 19. Jahrhundert zur Wissenschaft geworden; und sie war nicht deswegen so schwierig, weil sie zwei Eltern hatte, die Philosophie und die Physiologie. Im Gegenteil, sie war im 18. Jh. ein recht stimmiges Ganzes gewesen und erst im Laufe, und in aller Konsequenz erst am Ende des 19. Jh. und in unserem Jahrhundert in zwei Teile auseinandergebrochen (worden!): in eine sogenannt naturwissenschaftliche und eine sogenannt geisteswissenschaftliche, welche miteinander nicht mehr reden konnten, weil sie je die Hälfte ihres Reiches für das Ganze auszugeben versuchten und die Herrschaft über das Ganze beanspruchten. Und welche je eigene Sprachen entwickelt hatten und sich daher kaum mehr verständigen konnten. Hier hatte aber einer schon vorher schlüssig gezeigt, dass die Wissenschaften vom menschlichen Handeln ins Zentrum unseres Weltverständnisses gehören. Denn unsere Welt, die kulturelle Welt, in der wir leben, war das Ergebnis menschlichen Handelns. In der Tat, man hätte vielleicht besser zuerst ein stimmigeres Menschbild erarbeitet, bevor diese einfältigen Tiere, bewaffnet mit letztbegründeter Zuversicht und partiellen Gesetzen über Ausschnitte der Natur und der Menschen auf dieselben insgesamt losgelassen worden sind.

Herder erwies sich als ein erstklassiger und empirie-orientierter Psychologe; natürlich nicht mit den heutigen Untersuchungstechniken, dafür mit einer umso wacheren und findigeren Beobachtungsgabe für die menschliche Kondition und mit einer scharfen analytischen und synthetischen Kompetenz zur Rekonstruktion der Bedingungen aller menschbezogenen Erscheinungen. Herder weigerte sich beharrlich, irgendeine der aufzeigbaren psychologischen Funktionen, das Erkennen, das Fühlen, das Wollen oder Handeln, isoliert von irgendeiner andern zu betrachten oder die eine willkürlich einer andern über- oder unterzuordnen. Herder machte klar, dass man Psychisches nicht direkt beobachten, wohl aber aus seinen beobachteten Wirkungen erschliessen kann. Und Herder zeigte überzeugend, dass man Innerpsychisches und Zwischenpsychisches (wie es um 1930 ein anderer Neuerfinder einer kulturellen und historischen Psychologie, Lev Vygotsky nannte) nur zusammen verstehen kann.

Herder kann mit Recht auch als philosophischer Anthropologe gelten (wenn man diesen Ausdruck endlich seines normativen Beigeschmacks zu entledigen bereit ist). Und in der Tat haben Philosophen wie Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auf Herder zurückgegriffen und wären schwer denkbar ohne diesen Vorläufer, ungeachtet ihrer gelegentlich seltsamen Zurückhaltung in der Offenlegung ihrer Quellen. Ob sie ihn ausreichend gründlich studiert haben und nicht in Teilen wenigstens zu einseitig für eine geisteswissenschaftliche Denktradition reklamiert haben, kann hier nicht diskutiert werden.7

Genauer genommen ist Herder mehr als ein philosophischer Anthropologe. Er richtet ein Gesamtfeld von Verständnis der menschlichen Kondition das ebenso tief in der Philosophie verankert ist wie es in genauem Beobachten des menschlichen Lebens und seiner Grundlagen begründet ist, das Werden und die Möglichkeiten dieser Kondition umfasst und sich auf die Mitgestaltung des Ganzen durch menschlichen Handeln der Individuen und im Verband erstreckt. Es handelt sich ebenso sehr um eine empirische wie eine theoretische Anthropologie oder, besser noch, Oekologie, da sie die Unmöglichkeit der Verstehens von Menschen ausserhalb ihrer natürlichen und kulturellen Umwelt für unmöglich beurteilt. Damit unterläuft Herder die moderne Separierung von Natur und Kultur; für ihn existiert die entsprechende Teilung der wissenschaftlichen Felder noch nicht. Eine solche kann nicht existieren, da die Dinge ebenso seelich wie der Geist verkörpert ist, und es darf sie nicht geben, da sie die Menschen mitten entzwei schneiden würde. Weil der Ausdruck "empirisch" oder erfahrungsbestimmt in der Ideengeschichte irreführende Bedeutungen gesammelt hat, ziehe ich vor, von einer realistischen Anthropologie oder Oekologie zu sprechen. Mit dem Ausdruck "realistisch" möchte ich darauf verweisen, dass diese kritische Wissenschaft keinen Augenblick aufgibt, ihre Abstraktionen im Bezug darauf zu halten, was tatsächlich geschieht, unserem Beobachten und Erschliessen zugänglich. Realistisch sind unsere Konzepte und Darstellungen von Aspekten der menschlichen Konzeption dann, wenn sie sich durch Beobachtung einer von den Konzepten unabhängig existierenden Wirklichkeit korrigieren lassen.

Die Wissenschaften vom Menschen sind, wie Herder sehr klar erkannt hat, die strategisch entscheidenden Wissens- oder Verstehensfelder. Warum pflegen wir sie überwiegend entweder als Sonntags-Luxus oder als Techniken der Befragung oder Beratung oder Therapie? Warum stellen wir sie nicht ins Zentrum der universitären Vielfalt und des akademischen und Bildungskanons und fassen sie überhaupt zur Gewinnung eines sachverhaltsadäquaten Selbstverständnisses für uns und die nachfolgenden Generationen von Menschen?

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4.2. Zum Orientierungspotential des Herderschen Denkens

Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass Herder im letzten Drittel des 18. Jh. eine Auffassung vom Menschen in seiner kulturellen Welt entwickelt hat, die sich mit heutigen Begriffen vielleicht am treffendsten als dynamischer Strukturalismus im Zusammenwirken von evolutiven Systemen charakterisieren lässt, und zwar von einer Gründlichkeit, wie er bis heute nicht wieder ähnlich komplett ausformuliert worden ist.

Herder denkt die menschliche Kondition als einen offen-evolutiven Vorgang in einem Mensch-Umwelt-System, in welchem werdende Menschen -- individuell-lebensläuflich und über die Generationen in sich differenzierenden Traditionen -- durch ihr kulturelles Handeln ihre eigenen Lebensbedingungen fortwährend generieren und regulieren und dabei vom (auch früheren) Handeln anderer bestimmt werden und das Werden anderer (auch späterer) mitbestimmen, insbesondere auch auf ihr eigenes Werden selbst einwirken und all das Ganze sowohl stabilisieren wie in unterschiedlichen Weisen vorantreiben. Nur selten geschieht dies in einschneidenden Entscheidungen oder Aktionen; im Regelfall vielmehr in kleinen allmählichen Schritten, welche die Bedingungen für die nächsten Schritte ein bisschen anders machen, als sie ohne dies geworden wären. Meistens ist nicht abzusehen; angesichts von Herders mancherlei Mahnungen zur möglichst frühen Entdeckung von Fehlentwicklungen bin ich sogar versucht zu sagen: selten ist abzusehen, was ein oft noch so kleiner Schritt an neuen Möglichkeiten eröffnen oder verschliessen kann.

Systemtheorie oder dynamischer Strukturalismus ist uns Heutigen in manchen Varianten einigermassen geläufig. Es geht um komplexe gegliederte Verhältnisse, in denen Teile eines grösseren Zusammenhangs, weil sie stets in einem bestimmten Zusammenhang wirksam werden, anders wirken als ohne gerade diesen Zusammenhang. Im Unterschied zu den modernen Systemtheorien sieht Herder als Konstitutive und Regulative dieser Systemprozesse weder den homöostatischen Ausgleich, noch die "Selbstorganisation" noch bestimmte oder bestimmbare Ziele.

Denn Homöostase und Selbstregulation können wohl den Ausgleich von Störungen von aussen, nicht aber die Herausbildung von Neuem abdecken und erklären somit eher den Stillstand als die Entwicklungen.

Von allen Zielen muss ja in aller Regel offenbleiben, wie und woher sie zustande kommen, welche andere Instanz sie vielleicht gesetzt hat oder sie gar durchsetzt, und ob sie denn auf dem geplanten Weg wirklich erreicht werden können. Von den meisten unserer Planungen wissen wir, dass sie unterwegs angesichts von im Vollzug von ersten Schritten gewonnenen genaueren Kenntnissen der Verhältnisse oder angesichts von unbedachten Ergebnissen vorausgehender Schritte die geplanten Wege und oft auch die Ziele revidiert werden müssen. Von fast allen Zielstrebungen wissen wir aus direkter und schmerzlicher Erfahrung, welche Nebenwirkungen die Versuche ihrer Verwirklichung generieren können. Die Fragen, ob man nicht ob ihrer Attraktivität die auf dem Weg zu ihnen erzeugten Nebenwirkungen vielleicht gründlicher hätte berücksichtigen müssen, ist zunehmend unvermeidlich geworden. Das heisst nicht, dass Ziele im Handeln nicht eine Rolle spielen können; sie können aber als solche nicht wirken, sondern nur dann wenn sie in einer konkreten Weise eine Wirkstelle in der gesamten Prozessregulation gewonnen haben.

Nicht selten wird Kant als einer der Begründer der modernen Systemtheorie reklamiert (zB Sutter 1988). Herder dürfte in der Tat Grundsätzliches über Wechselwirkungen von Systemteilen am Beispiel des Systems der Gestirne bei Kant gelernt haben. Doch ist er in der Durchführung des Gedankens weit über alles vorher und das Meiste des seither Gedachten hinausgegangen. Im Besonderen ist es ihm gelungen, die Bildung von Systemen und die Regulation von Systemzuständen und -entwicklungen nicht in getrennten Ansätzen zu begreifen, wie es die heutigen Systemtheorien immer noch charakterisiert; denn zwischen kybernetischen Regulationstheorien, ob homöostatisch oder sollwertbestimmt, und Selbstorganisations-Modellen gibt es ja bis heute keine tragende Verbindung. Bemerkenswert ist auch, dass die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in verschiedenen Disziplinen aufgekommenen Strukturalismen mit Ausnahme der Gestalttheore langezeit weitgehend statisch gedacht worden sind, während Herder lange vorher mit dem Strukturdenken zugleich die Eigendynamik durch Strukturendialogik eingeführt hatte. Was Kant betrifft, bleibt textkritisch zu prüfen, inwieweit diesbezügliche Gedanken in der Kritik der Urteilskraft und im opus posthumum, die dem Kantischen Vernunftdenken doch eigentlich fremd sind, vielleicht einer späten teilweisen Annäherung Kants an Herder zugeschrieben werden können.

Herder sieht dementgegen die Hauptbedingungen offener und dennoch systematischer Entwicklung ausschliesslich in den durch die Systembedingungen hervorgebrachten Gegebenheiten selbst. Es ist kein besonderes Prinzip oder kein Mechanismus über das Zusammenwirken bestehender Gegebenheiten hinaus erforderlich. Entscheidend ist ausschliesslich der Wirkungszusammenhang bestehender Gebilde, darunter an prominenter Stelle die Menschen in ihren Gemeinschaften. Was Herder 1770/72 in seiner Schrift Über den Ursprung der Sprache prototypisch für die Herausbildung kultureller Errungenschaften aus solchen Reorganisationen des Bestehenden herausgearbeitet hat, ist auf alle anderen kulturellen Prozesse leicht zu übertragen. Herder weist die korrespondierenden und koplementäre Rollen und das zusammen Weiterführende der inneren oder psychischen und der äusseren oder kulturellen Symbolisierungen in klarer Weise auf. Er verfügt im Grunde über die wesentlichen Einsichten der Sprachphilosophie des 20. Jahrhhunderts. In der Auseinandersetzung mit Kant macht er klar, dass nicht Sprachfähigkeit Vernunft voraussetzt, sondern umgekehrt Vernunft eine Sprache. Dass die Benutzbarkeit von Symbolsystemen wie Sprache vernünftiges Begreifen und Schliessen ermöglicht wenn nicht gar ist.

Wenn ich überdies Herder als den ersten Pionier kulturpsychologischen Denkens begreife, so deswegen, weil er in aller Klarheit die Bedeutung des anbietenden Handlens von Individuen und des variierenden Generierens, des Aufgreifens und annähernden Wiederholens von Angeboten durch andere Individuen in Gemeinschaften aufgewiesen hat. Bereits in der Sprachschrift versteht Herder die genuin doppelte Bedingtheit der Genese von Symbolisierung innerhalb und zwischen den Organismen in Begriffs- und Bezugsbildung und Kommunikation nach und zeigt die Rolle von Sprache in beiden Bereichen und das Wechselspiel zwischen den beiden Bereichen auf. Fragen nach einem Primat des Intra- oder des Interindividuellen erweisen sich in evolutiver Sicht als müssig. Herder hat sich zudem nie in Gefahr gebracht, den angeblichen Relativismen von Historismus oder Psychologismus zu verfallen, weil seine Begriffe sich kaum je vom konkreten individuell-psychischen und dem kulturellen und zwischenmenschlichen Geschehen ablösen. Ebensowenig lässt er sich von nominalistischen oder logizistischen Idealisierungen verführen. Herder hat lange vor Peirce wohl die klarste realistische Einsicht in das Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen.

Herder ist für mich der Standard geworden, an dem ich andere Theoretiker und sogar Empiriker des Menschen in der Kultur zu messen begonnen habe.8 Ich habe mit der Ausnahme von John Dewey noch keinen mit einer derart kompletten Sicht und so viel stimmigen Details kennengelernt, bei allem Bedarf an Korrektur in Einzelheiten, die der Kenntnisgewinn von zwei weiteren Jahrhunderten uns gebracht hat.

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Fussnoten

1 Mit dem Ausdruck menschliche Kondition möchte ich im Anschluss an eine lange Tradition (Cicero, Arendt 1958, Plessner 1976) weder philosophische Vorstellungen vom "Wesen des Menschen" noch psychologische von seinem "Funktionieren" ansprechen sondern vielmehr auf die Gesamtlage verweisen, welche Menschen und ihre um- und mitweltlichen Bedingungen und Wirkungen in Natur und Leben, Gesellschaft und Kultur betreffen. Der Ausdruck schliesst die Menschen selbst als Teil, ja als eine wesentliche Bedingung auch ihres eigenen Werdens mit ein. Er verweist somit rückwärts blickend auf ihre Bedingtheit durch die selbstgeschaffene Kulturalität und vorwärts blickend darauf, dass sie selber auch zur Bedingung werden für die Kultur und damit für ihr eigenes Werden und noch viel mehr. Herders Anrede des Menschen als "dein Schöpfer selbst und dein Geschöpf" fasst dies in trefflichster Knappheit. Anscheinend in christlichem Grund; genauer besehen in bestürzender Kühnheit ausschliesslich im Irdischen gründend. (Vgl. "Selbst", 1797, SWS29:139 sowie SWS16:566 = Hanser 2:839, wo es zB sogar von einer Blume heisst: "sie ward eine Schöpferin durch eigne organische Kräfte, das Höchste, was ein Geschöpf werden kann.")

2 In einem Vortrag hat Klaus Michael Meyer-Abich (1994) in ähnlicher Weise Herders Gesamtweltbild als grundlegend neu charakterisiert. Seit Platons Timäus habe es keinen vergleichbar umfassenden aber fundamental anderen Entwurf, nämlich den einer werdenden Welt gegeben. In seinem neusten Buch (1997) hat Meyer-Abich den Gedanken nicht ausgeführt. Ich finde die These, Herders Konzeption sei als erste geeignet, das Platonische Weltbild und seine Derivate wirklich abzulösen, im wesentlichen zutreffend und einer umsichtigen Prüfung wert. Herder hat sein evolutives Welt- und Menschenbild in erster Linie am kulturellen Prozess und im Zusammenhang mit den biotischen und den individuellen Evolutionen aufgewiesen; die Darwinsche Sicht ist daher enger und gewinnt in der Herderschen ohne die mindeste Schmälerung ihrer Verdienste erst den ihr zukommenden Platz. Und einen besseren Platz; denn die der Darwinschen Theorie im modernen Weltbild zugewiesene Bedeutung wird überwiegend zur Bekräftigung des einseitigen Werktags-Menschenbildes benutzt.

3 Ein besonders schönes Beispiel für Kants Nachwirkung und Herders Ausblendung ist das Prinzip der Selbstorganisation (Kant KU, §65f., B 289ff.). In der Tat könnte man aufgrund der Sekundärliteratur meinen, Kant habe in der KU das Prinzip erfunden; er wird oft geradezu als Begründer der Systemtheorie gefeiert. Von Herder und andern, die Ähnliches vorher formuliert haben, ist dann meist nicht die Rede (zB Sutter 1988:194ff.). Das Prinzip immanenter Organisation gewisser Systeme, wie es Kant in der KU und im späten Nachlass formuliert, ist in der Tat durchaus mit heutigen Vorstellungen selbstorganisierender Systeme verwandt. Bloss ist bei Kant wie bei den heutigen Theoretikern Organisation zeitlos oder eigenzeitlich und damit entwicklungsuntauglich. Ein System, dessen Organisation aus sich selbst erfolgt, dreht sich im Kreis oder muss linear programmiert sein, wenn es nicht mit anderen Systemen lernend interagieren kann. Der Begriff "Selbst" ist unscharf oder Fehl am Platz. Konstruktivistische Selbstorganisationsvorstellungen sind Dualismus-Fiktionen.

Herders fruchtbarere Leistung ist die Idee, dass allgemein Systeme nicht nach einem allgemeinen Prinzip selbst organisiert seien, sondern dass Systeme zwar eigenständige, aber nur relativ selbständige Gebilde sind und untereinander in geschichtsbildende Wechselwirkung treten, also in einem übergeordneten Systemzusammenhang dialogisieren und so innovatives Werden begründen können. Die Geschichte der wechselweisen Beeinflussung zwischen Kant und Herder muss noch geschrieben werden; sie bedarf sehr genauer Werkkenntnis beider, weil sie einander sehr wohl und sehr genau gelesen und paraphrasiert, aber nur in Ausnahmefällen explizit aufeinander bezuggenommen haben. Auf den jungen Herder wirkte ein starker Einfluss von Kant; dann wuchs Herders Kreativität wohl nicht zuletzt auch im Widerstand gegen Kants transzendentalistische Fixierungen weit über ihre gemeinsame Basis hinaus; sehr spät erst begann Kant Herder wohl allmählich zu verstehen und in den systemtheoretischen Ansätzen seiner Spätwerke zu adaptieren. Die unfreiwillige und kaum zu übertreffende Ironie der Philosophiegeschichte will, dass Herder Kant nie verstanden habe.

4 Es ist bemerkenswert, zu welchem Ausmass Leibniz' Vision voll eigenständiger "Monaden"(komplexe), die er durch die prästabilierte Harmonie zu koordinieren sich genötigt sah, den Zustand der modernen voll individualisierten Gesellschaften antizipiert und im Kern immer noch unsere Gesetzlichkeitsvorstellungen prägt. Mit dem Unterschied freilich, dass mangels Vorausprogrammierung die Menschen sich genötigt sehen, relativ erträgliche Zusammenlebensbedingungen durch immer dichtere Regel- und Gesetzeswerke zu schaffen, mit dem Preis der Preisgabe dessen, was Menschen zu Menschen macht; denn unerbittlichen, freilich immanenten, nicht auferlegten Regeln folgen auch die instinktregulierten Tiere und ihre Gesellschaften.

5 Als Aufgabe für die Philologen drängt sich auf zu klären, ob die Idee der Kopernikanischen Wende von Kant oder von Herder oder von einem Dritten stammt. Warum, wenn sie von Kant wäre, hätte sie dieser nicht längst vor 1788 im Vorwort zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft brauchen sollen, sondern erst als der Streit mit Herder ausgebrochen war? Und warum haben praktisch alle Kant-Rezipienten, ich selber einbegriffen (1970), die Formel nachgebetet anstatt die kantische Verkehrung ihres frühneuzeitlich-metaphorischen und ihres Herder'schen anthropo-de-zentrierenden (!) Sinns in ihr Gegenteil zu analysieren?

6 Um hier Missverständnisse zu vermeiden sei angemerkt, dass ich Ideen-Realismus für eine Abart von Nominalismus halte. Denn wie anders sollten Ideen Wirkungen entfalten können als verkörpert in der Form von Symbolen, ob auf Papier, in Computern oder in Köpfen von Menschen? Und wie anders als im Zusammenwirken mit Menschen und deren anderen Ideen oder Werken? "Nichts in der Welt, glaube ich, hat mehr Meinungen und vielleicht auch mehr Irrtümer erzeugt, als dass man abstrakte Begriffe als individuelle Existenzen betrachtet und realisiert hat. So realisieren wir das Wort Natur,Tugend, Realität, Vollkommenheit. Ursprünglich waren diese Begriffe nichts als Abstraktionen, Verhältnisse von dem auf dies, gleichsam Schatten und Farben von Dingen; wir machen sie zu Dingen selbst, und denken uns also Fertigkeiten, die die Seele wie Geldstücke sammle […]" (Herder, 1769, zweiter Brief an Moses Mendelssohn)

7 In diesem Hinweis ist der Sinn des Herderschen Begriffs des "Mängelwesens" Mensch angesprochen, den Arnold Gehlen (1940) und auch Adolf Portmann in einer irreführenden Weise als biogenetischen Instinktverlust aufgenommen haben. Dem Menschen fehlen nach Herder keine Instinkte; seine ursprüngliche Schwäche besteht eher darin, dass zu viele Instinkte einander ins Gehege kommen und daher neu organisiert werden müssen. Die geniale Einsicht Herders ist die Idee innerpsychischer -- und weiterführend zwischenpsychischer -- Symbolisierungen derart, dass die verschiedenen Impulse ihre Stärke im Wechselpiel untereinander ausbilden, gewissermassen demokratisch ordnen, und so das Geschehen adäquater bestimmen können, als es in üblichen Konzepten rationaler Hierarchisierung gedacht werden kann.

8 Es sei hier ein Hinweis erlaubt auf meine eigenen Arbeiten unter dem Stichwort Semiotische Oekologie (vgl. im Internet unter http://www.psy.unibe.ch/ukp/langpapers/ ). So bezeichne ich einen Satz von begrifflichen Werkzeugen zur Darstellung von evolutiven Systemen allgemein. Die semiotische Oekologie stellt nicht nur eine Theorie evolutiver Strukturbildung überhaupt dar, sondern ermöglicht

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Literaturangaben

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Flussèr, Villém (1994) Vom Subjekt zum Projekt. Menschwerdung. Schriften, Band 3. Bensheim: Bollmann.

Gehlen, Arnold (1940/1993) Der Mensch -- seine Natur und seine Stellung in der Welt. (Textkritische Edition.) Karl-Siegbert Rehberg (Ed.) 2 Bände Frankfurt a.M., Klostermann. 1020 Pp. (10.Aufl 1974).

Herder, Johann Gottfried (1799) Verstand und Erfahrung, Vernunft und Sprache: eine Metakritik der Kritik der reinen Vernunft. (mit einer Zugabe, betreffend ein kritisches Tribunal aller Fakultäten, Regierungen und Geschäfte.) Thomas Thorild (Ed.) Stuttgart-Tübingen, Cotta, 1830. 272+216 Pp. (in SWS 21, in DKV 8)

Herder, Johann Gottfried (1877-1913) Sämtliche Werke (in 33 Bänden, SWS). Hrsg. von Berhard Suphan. Weidmann-Verlag; Nachdruck: Hildesheim, Olms.

Herder, Johann Gottfried (1984ff.) Briefe -- Gesamtausgabe 1763-1803. Karl-Heinz Hahn; Wilhelm Dobbeck & Günter Arnold (Eds.) 10 Bde. Weimar, Böhlaus Nachfolger.

Herder, Johann Gottfried (1984ff.) Werke (in 3 Bänden, Hanser). Hrsg. von Wolfgang Pross. Band 1 -- Herder und der Sturm und Drang. 1764-1774. München: Hanser. 961 Pp.

Herder, Johann Gottfried (1985ff.) Werke (in 10 Bänden, DKV). Hrsg. von Günther Arnold und anderen. Band 6 -- Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Martin Bollacher (Ed.) Frankfurt a.M., Deutscher Klassiker Verlag. 1214 Pp.

Kant, Immanuel (1960) Werke, in 10 Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Lang, Alfred (1997) Fluss und Zustand -- psychische, biotische, physische und soziale Uhren und ihre psychologischen, biologischen, physikalischen und soziologischen Modelle. Pp. 187-235 in: Peter Rusterholz & Rupert Moser (Eds.) Zeit -- Zeitverständnis in Wissenschaft und Lebenswelt. Kulturhistorische Vorlesungen des Collegium Generale Universität Bern. Bern, Peter Lang.

Meyer-Abich, Klaus M. (1994) Herders Naturphilosophie in der Umweltkrise. Öffentlicher Abendvortrag an der Tagung: Herder und die Philosophie des deutschen Idealismus. Wuppertal, 30.11.94.

Meyer-Abich, Klaus Michael (1997) Praktische Naturphilosophie -- Erinnerung an einen vergessenen Traum. München, Beck. 520 Pp.

Plessner, Helmuth (1976) Die Frage nach der conditio humana -- Aufsätze zur philosophischen Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Pross, Wolfgang (1983/94) 'Natur' und 'Ethos' im Werk J.G. Herders -- eine wissenssoziologische Untersuchung der Geschichte der klassischen Peripherie. Habilitationsschrift, München/Bern, Institut für Germanistik.

Sutter, Alex (1988) Göttliche Maschinen: die Automaten für Lebendiges bei Descartes, Leibniz, La Mettrie, und Kant. Frankfurt a.M.: Athenäum.

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