Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Position Paper 1994

Zu Fragen der Universitätsreform - Eine "Neue Philosophische Fakultät"

1994.08

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Skizze eines Projekts zur Diskussion: Nov. 94 / Jan. 95 / März 97

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt

 

I. Eine rudimentäre Skizze einiger Aspekte der Lage

II. Eine "Neue Philosophische Fakultät"

Zusammenfassende Thesen


 

Die Europäische Universität ist in den vergangenen Jahrzehnten in eine Lage geraten, welche nach gründlicher Erneuerung ruft. Diese Institution ist der modernen Gesellschaft unentbehrlich; keine anderen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben zeichnen sich ab.

 

I. Eine rudimentäre Skizze einiger Aspekte der Lage

1. In ihrer rund 800-jährigen Geschichte hat die Universität schon mehrere Male das Gleichgewicht zwischen ihren zwei hauptsächlichen Doppelaufgaben der Einheit von Forschung und Lehre verloren und wiedergefunden.

(a) Die akademische Ausbildung und die wissenschaftiche Erkenntnis. Im Vordergrund steht die Vorbereitung der jungen Generation auf die anspruchsvollsten der Allgemeinheit dienenden Tätigkeiten. Damit sind in Abhebung von der Ausbildung für Fertigkeiten (vom Handwerk zu den Fach(hoch)schulen) jene Tätigkeiten gemeint, welche ein tieferes Verständnis für Problemlagen und Umsicht über die jeweilige Aufgabe hinaus vorausetzen und daher besser auf wissenschaftlicher Grundlage und unbedingtaus gründlichem Verständnis der gesamten relevanten Zusammenhänge heraus gelöst werden müssen. Infolgedessen sind der Universität auch wesentliche Teile der dazu erforderlichen wissenschaftlichen Forschung aufgetragen, weil ein umgreifendes Verständnis unmöglich ist ohne Erfahrung in den historischen und methodischen Bedingungen des Zustandekommens wissenschaftlicher Erkenntnis. Darin liegt der Sinn der Einheit von Lehre und Forschung in der Universität.

(b) Die akademische Bildung und die Reflexion der Bedingungen und Wirkungen wissenschaftlicher Tätigkeit. Dazu gehören nicht nur die Entwicklung und die Vermittlung eines tieferen Verständnisses des wissenschaftlichen Weltverständnisses im Verhältnis zu anderen Umgangsweisen mit der Welt, sondern auch die Sorge um die Begründung und zukunftsbewusste Bewertung dessen, was wir Menschen sind und tun. In mancher Hinsicht eine unverzichtbare Aufgabe jeder Person und jeder kleineren oder grösseren Gruppe, ist diese Aufgabe im Zuge der Entwicklung der Wissenschaften und der arbeitsteiligen Gesellschaften mehr und mehr ebenfalls von Spezialisten übernommen worden, die sich unterschiedlich als religiöse Anführer, als charismatische Sinnstifter, als findige "Unternehmer" und - im universitären Feld - vor allem als denkende Philosophen ("Weltweise") verstanden haben.

In der Geschichte der Universität oblag die Reflexionsaufgabe zunächst im wesentlichen der Philosophischen Fakultät, in enger personeller Verbindung zugleich die engere Vorbereitung zum Studium (während eineinhalb Jahrhunderten im deutschen Sprachraum beim Gymnasium; heute weitgehend im Ungewissen) und die begleitende Vertiefung der berufsorientierten Studien mit dem allgemeinen Voraussetzungswissen, den methodischen Fertigkeiten und Fähigkeiten und dem Verständnis wertorientierter Perspektiven anbot. Erkenntnis und Reflexion wurden im günstigen Fall in engster Verbindung gepflegt und vermittelt. Im Laufe des 19. Jh. entwickelte sich jedoch ein zunehmendes Ungleichgewicht; insbesondere mit der Teilung der Philosophischen Fakultät (zwischen 1830 und 1950) und der Einrichtung von immer höher spezialisierten Abteilungen, Instituten und Fakultäten wurde die Reflexion in eine Randstellung zurückgedrängt. Eine Reihe von Gegenmassnahmen (Studium Generale, Koordinations-Lehrstühle und Institute für Ethik, Wissenschaftsphilosophie, allgemeine Ökologie etc., Wissenschaftskollegien und ähnliche Einrichtungen, "Freifächerabteilungen", fächerübergreifende Projekte u.a.m.) vermögen den Verlust nur zum kleinsten Teil wettzumachen. Graduiertenkollegs im spezifischen Sinn vermögen noch am ehesten diese Lücke zu füllen, setzen jedoch im Studienverlauf verhältnismässig spät ein.

2. In beiden Aufgaben hat man mit der wissenschaftlichen Vorgehensweise überwiegend die symbolischen Medien zur indirekten Darstellung der betreffenden Wirklichkeitsfelder gewählt (d.h. des vermittelten Weltbezugs durch Sprache, Mathematik, Logik, Diagrammatik, Experiment, Modellbildung, Simulation etc.) und dabei Gesichtspunkte der Eindeutigkeit, der Verlässlichkeit, der Nachvollziehbarkeit, der Allgemeingültigkeit, der Rationalität in den Vordergrund gestellt. Die rational-symbolisierende Vorgehensweise wurde irrtümlich langezeit für eine via regia gehalten, nicht bloss für eine unter anderen bedeutenden Formen des Weltbezugs, sondern allen andern grundsätzlich überlegen: etwa dem Handwerk mit Betonung von Tradition und Praxis, den Künsten mit ihrer Betonung des Gefühls und Evokation oder der Politik mit ihrer Betonung der gemeinschaftlichen Willensfindung. Nach der Aufgabe der Allgemeinverbindlichkeit religiöser Setzungen im Zuge der Aufklärung wurde mithin weitverbreitet in den Wissenschaften ein (wenigstens potentieller) neuer Garant der Verlässlichkeit unserer Lebensformen, ein Versprechen der Wahrheitsfindung, gesehen. Diese Sicht wurde zwar früh von Einzelnen bezweifelt; doch hat sich die Einsicht in die grundsätzliche Bedingtheit auch der wissenschaftlichen Erkenntnis erst gegen Ende unseres Jahrhunderts teilweise auch in wissenschaftlichen Kreisen durchzusetzen begonnen, nicht zuletzt im Gefolge von sehr schmerzlichen Erfahrungen und äusserst bedenklichen Erwartungen, welche der früheren Fortschrittsgläubigkeit den Boden unter den Füssen wegziehen.

3. Gleichzeitig mit diesem Verlust der Verbindlichkeit von Wissenschaft insgesamt hat ein unerhörter Siegeszug von wissenschaftlich begründeten Einzelerkenntnissen und darauf fussenden Techniken und der daraus hervorgehenden Veränderung der Zivilisation die Lage der Menschen radikal verändert. Zu den nur sehr teilweise und punktuell erfüllten Versprechungen der Beherrschung der Unsicherheiten der Natur (Ingenieurwesen, Energienutzung, Herstellung von Stoffen und Geräten zu nahezu jeder wünschbaren Qualifikation, Lebensverlängerung, Leidensverhinderung, Konfliktvermeidung, Mehrung des persönlichen Glücks, auch der Menschenwürde) werden zunehmend die neuen Risiken erkennbar, welche gerade durch die fortschrittstrunkene Anwendung all dieser Handlungsmöglichkeiten zu den natürlichen Risiken hinzugekommen sind. Im Endeffekt dürften sie die Bedrohungen eher vermehren und intensivieren als mindern oder mildern.

4. In dieser "postmodernen" Lebenslage drohen Entwicklungen, welche nicht nur die problematischen Seiten wissenschaftlich begründeter Tätigkeit revidieren, sondern leicht auch ihre sinnvollen und unentbehrlichen Errungenschaften vernichten könnten. In der sich intensivierenden Auseinandersetzung zwischen jenen, die den eingeschlagenen Weg fortsetzen wollen und jenen, die nach grundsätzlicher Neuorientierung verlangen, laufen wir das Risiko einer allzu leichtfertigen Preisgabe ihrer Errungenschaften; wir sind wohl bereits weitgehend in eine Konfliktlage geraten, in der die beiden Fraktionen der Gesellschaft anstelle des Dialogs eine Haltung der wechelseitigen Anschuldigung angenommen haben. Man täusche sich nicht darüber, dass nicht der schlechteste Teil der begabten Jugend sich dem Monopol der höheren Bildungsinstitutionen zwar äusserlich (noch) mehrheitlich unterzieht; häufig aber entfremden sich manche gerade in diesen lebensbestimmenden Jahren dem wissenschaftlichen Denken umso gründlicher, als sie dabei manchen dogmatisierenden Praktiken des Wissenschaftsbetriebs unvermeidlich sich unterziehen müssen. Dieses aktuelle Bild der Wissenschaft in der Gesellschaft lässt sich an einigen ausgewählten und, wie mir scheint, besonders tragischen Entwicklungen vertiefen:

4.1. Die wissenschaftlichen Disziplinen sind seit etwas mehr als einem Jahrhundert (tatsächlich nicht eigentlich länger!) in einem progressiven Differenzierungs- und Spezialisierungsprozess begriffen, der für ein angemessenes Verständnis und den verantwortlichen Umgang mit komplexen Systemen nichts Gutes ahnen lässt. Gegenmassnahmen haben bisher nicht ein angemessenes Gewicht und entsprechende Mittel bekommen. Man muss sich fragen, ob die meisten von ihnen in geeigneter Weise angelegt sind.

4.2. Universität war bei ihrer Gründung in Bologna oder Paris im 12. Jh. ganz wesentlich ein Generationendialog, in welchem die Erfahreren, Älteren, tendenziell leicht in Gewohnheiten Erstarrenden ihre Einsichten und Vorschläge den Jüngeren und Wagemutigeren zur Diskussion und Erprobung übergaben, welche jedoch die Folgen dieser Einsichten und Vorschläge direkter zu tragen haben. Die Universität ist vielleicht die allerwichtigste Institution in unseren komplexen Gesellschaften, welche den Fähigsten aus den Generationen in den entscheidenden Lebensjahren einen Entwicklungsraum bieten kann. Ist heute nicht der Generationendialog, wie schon wiederholt in früheren Jahrhunderten, durch die gesetzlich gestützte Dominanz der Älteren etwa in der Form von kanonisierten Stoffprogrammen und Prüfungsordnungen weitgehend in Frage gestellt? Ich wende mich in keiner Weise gegen den Erwerb von Wissen und Können; auch den Nachweis von solchem halte ich für unentbehrlich. Die Frage ist bloss, ob solches ein universitäres Studieren insgesamt definiert und ob es nicht in der heute geübten Form die Hochschule wieder einmal in weiten Teilen zu einer Nur-Schule degradiert. Die Universitäten sind über die Jahrhunderte zu Einrichtungen der Sicherung einer Elite geworden; diese Funktion ist jedoch für die heute üblichen Anteile von Studierenden sinnlos geworden. Ist es klug, die jungen in in so langen Jahren ihrer Selbstwerdung nicht als Erwachsene ernst zu nehmen?

4.3. Wie die Industrie und die staatlichen Institutionen haben auch die Institutionen des höheren Bildungswesens und der Wissenschaften in einer Lage innerer Unsicherheit und äusserer Gefragtheit voll auf Wachstum und Koordination gesetzt. Die heutige Universität leidet an einer eigentlichen Organisations- und Reglementierwut inneren und äusseren Ursprungs. Die meisten Wissenschaften haben sich "industrialisiert" und fallen in der oft weitgehenden Abgeschlossenheit ihrer wechselseitigen Beglaubigungs- und Belobigungsrituale einem bemerkenswerten Niveau von operativer Hektik anheim, deren tatsächlicher Ertrag längst in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand steht. In den kaum vermeidbaren Zeiten schwindender Ressourcen und unter dem Druck immer weitergehender Instrumentialisierung ihrer Dienste für partikuläre Interessen wird der Konkurrenzkampf unter den Zweigen der Wissenschaften noch mehr als heute schon von ihren Ressourcen beanspruchen; und dennoch werden wohl auch Wissenschaft und Bildung aller Voraussicht nach im Zuge realpolitischer Redimensionierung gesellschaftlicher Utopien "Federn lassen" müssen. Es sei denn, der Universität gelinge die Rückbesinnung auf die ihr eigenen Aufgaben und entwickle zeitgerechtere Verfahren zu deren Erfüllung.

5. Der angesprochene Reflexionsauftrag ist keine planbare Aufgabe. Sie ist grundsätzlich nicht vom Ausüben der Wissenschaften abzutrennen. In einfacheren Gesellschaften wurde er zumeist in Selbstdefinition durch Interessierte und Kundige gepflegt welche sich der Aufgabe eigentinitiativ annahmen; heute stehen jedoch den Fähigen und Gewillten nur ausnahmsweise auch noch jene Freiräume und Ressourcen zu Diensten, welche solch langatmiges und nicht selten erst nachträglich hochbewertetes Tun erst ermöglichen. Die modernen Gesellschaften müssen daher zusätzlich zu ihrer Förderung der Künste diesen Auftrag auch im Wissenschaftsbereich institutionalisieren und wenigstens einem Teil der so explosiv gewachsenen Universität -- wem denn sonst? -- geeignete Voraussetzungen bereitstellen. Personen mit versprechenden Leistungen und Fähigkeiten sollen demnach sich um einen offenen Auftrag zur Selbstdefinition von Reflexionsaufgaben bewerben und in Gemeinschaft mit anderen bestandenen und werdenden Wissenschaftlern ihr Leben der Wissenschafft unter Betonung dieser Perspektive widmen können.

 

II. Eine "Neue Philosophische Fakultät"

Auf dem Hintergrund solcher und ähnlicher Überlegungen stelle ich eine recht einfache Universitätsreform zur Diskussion: Herauswachsend aus und in Ergänzung zu den heute im universitären Bereich und Umfeld bestehenden wissensschaftlichen Institutionen wird eine neue Fakultät mit einem sie alle verbindenden allgemeinen Auftrag herausgebildet.

1. Die Neue Philosophische Fakultät (NPhF) nimmt die Errungenschaft des gemeinschaftlichen Forschens und Lernens, die universitas literarum (et scientiarum) wie auch magistrorum et scholarium wieder auf und gibt ihr in der zergliederten und reglementierten Universität von heute den erforderlichen Raum und eine ihr angemessene Form. Der vorgeschlagene Name nimmt eine bedeutende Tradition in der Absicht auf, sie nach der Disziplinen-Differenzierung auf zeitgerechte Weise weiterzuführen.

2. Die NPhF ist als ein Glied im System der bisherigen Fakultäten, Fachhochschulen und grundlagenorientierten Forschungsinstitutionen konzipiert und erfüllt wie diese die Aufgaben der Lehre, Forschung, Dienstleistung und Reflexion. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Disziplinen konzentriert sie sich in disziplinenübergreifenden Weise auf ausgewählte Problemfelder und obliegt mit besonderem Nachdruck dem Reflexionsauftrag. Ihr Auftrag ist im besonderen die Klärung neuer Fragestellungen und die Einleitung angemessener Forschungsstrategien.

3. Die NPhF wird eingerichtet, indem das Gesetz vorsieht, dass sämtliche Fakultäten und Fachhochschulen des tertiären Bildungsbereichs und die Grundlagenforschungsinstitutionen einen bestimmten Bestandteil ihres Etats an die NPhF gegen das Recht abtreten, Anträge auf die Schaffung von Instituten oder Professuren zu stellen und Vorschläge zu deren Besetzung zu machen. Gedacht ist an Etat-Prozentsätze im Bereich zwischen 10% und 30% je nach der Art der bisherigen Aufgaben dieser Einrichtungen. Die NPhF kann sukzessive aufgebaut und soll in ihrem Instituts-Bestand stetig erneuert werden.

4. Professuren und thematisch umschriebene Gruppen von Professuren (Institute) der NPhF werden im Hinblick auf Forschung- und Tätigkeitsfelder umschrieben, deren Inhalte sich in einer der traditionellen wissenschaftlichen Einheiten (disziplinäre Institue, Abteilungen, Departemente) nicht leicht sachgerecht bearbeiten lassen. Die Umschreibungen erfolgen in einer offenen Weise derart, dass den Professuren im gewählten Arbeitsbereich die grösstmögliche Freiheit zur längerfristig angelegten besonnenen Selbstdefinition der Forschungs- und der Lehr-Aufgaben wie auch ihrer Organisation eingeräumt wird.

5. Professuren und Institute der NPhF sind als flexibel nutzbare Stellenpläne eingerichtet, welche in der Regel neben einer vollamtlichen Professorenstelle zwei bis drei Mittelbau-Stellen verschiedener Stufen sowie das erforderliche wissenschaftliche, technische und administrative Personal umfassen. Eigene Gebäulichkeiten sollten der NPhF nicht nur die ihr gebührende öffentliche Präsenz verleihen, sondern auch die Zusammenharbeit unter den Beteiligten verbessern ohne die wechselseitige Einflussnahme zu den traditionellen wissenschaftlichen Einrichtungen zu gefährden.

6. Zu einer Professur gehören im Hinblick auf die Bedeutung des Generationendialogs im Durchschnitt 10 bis 15 Studienplätze nach der disziplinären Grundausbildung (zB begabte Lizentianden nach Abschluss des Grundstudiums oder Doktoranden). Die Professuren bzw. Institute sollen das Recht zur Bestenauslese ihrer Studierenden bekommen. Die Studienangebote und -anforderungen sind so offen wie immer möglich zu umschreiben. Die NPhF hat das Promotions- und Habilitiationsrecht.

7. Die Professoren werden auf Amtsperioden in der Grössenordnung von 8 Jahren berufen. Es besteht die Möglichkeit zu ein- bis zweimaliger Verlängerung. In der Regel behalten deshalb Professoren (in besonderen Fällen auch Mitarbeiter) aus den beteiligten Fakultäten oder Fachhochschulen ihre Anstellung in ihren Ursprungsinstitutionen und werden von diesen für die Dauer der NPhF-Berufung beurlaubt und gegebenenfalls nach deren Ablauf zurückgenommen. Die Zusammenarbeit mit den Ursprungsinstitutionen in Lehre und Forschung soll zu beidseitigem Gewinn gefördert werden; der internationale Austausch und dafür geeignete Mittel sind selbstverständlich.

8. Die Professuren und Institute der NPhF erweitern in der Regel ihre Forschungs- und Dienstleistungs-Tätigkeit auf Drittmittelbasis und verfügen über die dafür nötigen Infrastrukturen.

9. Die NPhF wird durch die Fakultät (mit leitendem Ausschuss und Dekan) geführt. Einem erweiterten Fakultätsrat zur Bestimmung der langfristigen Politik gehören neben delegierten Professoren der NPhF selbst auch Vertreter der übrigen Fakultäten und Fachhochschulen sowie auswärtige Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten von Rang an. Bei der Umschreibung und bei Entscheidungen über die Weiterführung von Professuren wird dem Urteil von auswärtigen Fachleuten besonderes Gewicht eingeräumt.

10. Die Einrichtung der NPhF ist grundsätzlich überregional denkbar. Um den organisatorischen Aufwand klein zu halten und den Charakter einer wissenschaftlichen Gemeinschaft von Forschenden und Lernenden zu sichern dürfte jedoch eine Grössenordnung von 40 bis 60 Professuren und 150 bis 200 Mitarbeitern und um die 500 Studierenden optimal sein.

 

Zusammenfassende Thesen

1. Durch eine Reihe von Entwicklungen ihres Umfeldes und ihrer selbst ist die Universität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in eine Lage geraten, welche sehr gründlicher Reformanstrengungen bedarf. Denn sie ist komplexen Gesellschaften eine unentbehrliche Institution.

2. In Reformbedarfslagen fand sich die Universität schon mehrere Male in ihrer Geschichte. Neben einer Anlyse der aktuellen Entwicklungen und der sie bestimmenden Faktoren drängen sich auch historische Vergleiche mit ähnlichen Lagen und dem Schicksal der jeweiligen Erneuerungen auf, insbesondere mit dem der national unterschiedlichen Reformen nach 1800.

3. Eine Bewertung ihrer verschiedenen Hauptaufgaben und das Gewinnen eines neuen Verhältnisses zwischen ihnen, dies nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Reorganistion des Fachhochschulwesens und des sekundären Bildungsbereichs, erscheint als der fruchtbarste Ausgangspunkt einer Reformdiskussion.

4. Als Leitfragen solcher Aufgaben-Redefinitionen könnten dienen:

4.1. Wie kann universitäre Bildung als generativer Dialog zwischen den Generationen der jetzt Erfahrungsreichen und und der künftig Verantwortungstragenden gefördert werden? Generativer Dialog bezeichne nicht bloss einen Austausch, sondern einen Austausch mit nicht vollständig vorgeplantem Ergebnis eines Wandels sowohl der Dialogpartner wie auch der Erzeugung von etwas (Wissen, Können, Einsichten, Zusammenhangsverständnis, Persönlichkeiten u.ä.), was Dritten bzw. der Allgemeinheit zugute kommen kann.

4.2. Wie kann universitäre Forschung dem Spezialisierungswettlauf innerhalb und zwischen den Disziplinen entwunden und thematisch verwesentlicht und in enger Verbindung mit der Bildung gepflegt werden? Wenn Wissenschaft allgemein der Kritik und Verbesserung der Überzeugungen dient, aus denen heraus die Menschen handeln und ihr Zusammenleben und ihre Existenzbedingungen überhaupt gestalten, so stellt sich die Frage, wer und wie die Ergebnisse der einzelnen Wissenschaften kritisiert und verbessert. Dazu sind weder Spezialisten des Allgemeinen noch besondere Vermittler (Lehrer aller Art) oder Schiedsrichter (politische Instanzen) imstande, obwohl diese beiden und darüber hinaus alle Menschen auswählen und bewerten müssen. Die einzige mögliche Antwort dürfte darin liegen, dass die Kritik der Wissenschaft dem Konzert der Wissenschaften entspringen muss, dh der gründlichen Analyse und Synthese der Wissenschaften wechselweise.

4.3. Wie kann die Reflexion der Bedingungen und Wirkungen wissenschaftlicher Tätigkeit gefördert werden? Wie kann die Erarbeitung von Grundlagen der Selbststeuerung der menschlichen Gemeinschaft mit konzeptuellen und empirischen Mitteln -- also parallel zu den künstlerischen und politischen Beiträgen -- zu einer Hauptaufgabe der Universität werden?

4.4. Leitfrage 4.3 könnte pragmatisch auch lauten: Wie können die Dienstleitungsaufträge, welche andere Institutionen ebensogut erfüllen könnten, ausgelagert und durch spezifisch universitäre Aufträge abgelöst werden, nämlich zum freien Gebrauch der Allgemeinheit und der Einzelnen die Hintergründe und die möglichen längerfristigen Entwicklungen der menschlichen Lage in ihren kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und humanitären Perspektiven zu erschliessen?

4.5. In den vier traditionellen Fakultäten bildete die Universität ursprünglich vor allem Seelsorger, Juristen und Mediziner aus, später auch Lehrer für die höheren Schulen aus. In den vergangenen zwei Jahrhunderten sind Befähigungen zu vielfältigen analytischen und planerisch-konstruktiven Tätigkeiten in den Bereichen aller Techniken und des gesellschaftlichem Leben dazugekommen. Solche Ausbildungsgänge werden heute nicht nur von den einschlägigen Fachhochschulen, sondern, beginnend in der Mitte des 19. Jh. ebenfalls von praktisch allen universitären Fakultäten angeboten. Die akademische Lehre betont stärker als der Unterricht der Fachhochschulen die Einsicht in und das Verständnis des Forschungsprozesses, also des Zustandekommens von wissenschfticher Erkenntnis, indem zwischen Forschungsprozess und Ausbildung ein innigerer Zusammenhang angestrebt wird. Aber eine relative Differenzierung dieser Art, so nützlich sie zunächst im Sinne von Konkurrenz oder Föderung von Exzellenz sein mag, ist wohl nicht eine gute Koexistenzbasis auf Dauer von Universitäten und Fachhochschulen. Es scheint daher unumgänglich, Reformen auf die allmähliche Herausschälung des Protypischen der Universität hin anzulegen, welches sie gegenüber den Fachhochschulen auszeichnet.

5. Das Reformdenken sollte auch gründliche institutionelle Erneuerungen aufgreifen. Ein Blick auf die Geschichte der Universität macht deutlich, dass ihr quantitives Wachstum schon im 19. und vor allem in der 2. Hälfte des 20. Jahrhundert zu unreflektierten, ja meistens nicht einmal hinterher in Vorgang und Folgen analysierten instutionellen Zergliederungen bei zunehmend arbeitsteiligen Spezialisierungen ohne gezielte Koordination geführt hat. Als bedeutendster und äusserst folgenreichen, jedoch weder ideenhistorisch noch institutionenhistorisch auch nur entfernt adäquat aufgearbeiteter Vorgang solcher Art darf die weithin unbekannte Zweiteilung der bis vor 1900 (± 50 Jahre) einen Philosophischen Fakultät mit der bekannteren Nebenfolge ihrer Verstärkung der Herausbildung "zweier Kulturen" genannt werden.

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