Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Newspaper Column 1992

Einseitig, unwürdig, weltblind!

1992.18

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Bund-Kolumne. Der Bund (Bern) Nr. 256 vom 31.10.92, S.15

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Ich meine den EWR-Vertrag. Die Diskussion über "Beitritt" oder "Alleingang" verliert sich in spekulativen Behauptungen und Angstmacherei von beiden Seiten. Da sollte man zwei Schritte zurücktreten und aus einiger Distanz zu verstehen suchen, was vor sich geht. Seit das Scheitern der Maastrichter Pläne abzusehen ist, fällt das leichter.

Wir stimmen über einen Vertrag ab, den eine Gruppe von eher kleinen Staaten mit einer grösseren und deutlich stärker institutionalisierten Gruppierung ausgehandelt hat. Er bringt den Schweizern geringfügige Erleichterungen beim Export von Waren und Dienstleistungen, nichts Neues beim Kapitalverkehr, erleichterte Niederlassungsfreiheit in West- und Südeuropa. Wir halten Gegenrecht, was gerecht ist, obwohl es einige Probleme schafft. Darüberhinaus muss sich die Schweiz zur Übernahme des EG-Rechts verpflichten. Und zwar nicht nur des heute gültigen sogenannten "Acquis Communautaire" (rund 16'000 Seiten EG-Verordnungen und -Richtlinien), sondern auch aller künftigen Erlasse der EG in den betreffenden Bereichen. Das ist, auf den Punkt gebracht, ein einseitiger "Vertrag". Ein Diktat der Stärkeren.

Von Vorteilen für einzelne Nutzniesser abgesehen kann ich nur zwei Motive für die Befürwortung eines EWR-Beitritts ausmachen: die Angst vor dem Verpassen des Anschlusses und die Hoffnung auf Wandel von innerschweizerischen Ordnungen mit Hilfe von äusseren Kräften. Nun sind Ängste und Hoffnungen noch nie gute Berater bei einem Vertragsabschluss gewesen. Unwürdig ist nicht nur, von Verfechtern und Gegnern freizügig geübt, das Spiel mit den Hoffnungen und Ängsten der Bevölkerung. Unwürdig ist auch, was dieses "Spiel" erst ermöglicht. Nämlich ein "Vertragswerk", welches diesen Namen nicht verdient.

Sind die Ängste, den Zug zu verpassen, begründet? Funktionäre und Politiker in Brüssel und in Bern behaupten es, oft in nahezu erpresserischer Weise. Aber verleugnet nicht die Europäische Gemeinschaft sich selbst, wenn sie ein europäisches Land diskriminiert oder bestraft? So könnte man die wirtschaftliche Verflechtung der Nationen zum Selbstzweck und zu einem Konfliktherd machen.

Kann man die schweizerischen Institutionen nur noch mit Helfershelfern von aussen reformieren? Das Kartellrecht, die Sozialwerke, das Regierungssystem, die Verfilzungen von Staat und Wirtschaft? Das wäre ein Bruch mit dem Grundprinzip der Eidgenossenschaft. Und die Staaten der EG und die EG selbst leiden doch an ähnlichen Krankheiten. In der Tat, unser Parlament kann die Kartelle nicht aufheben. Aber das Volk könnte es ohne Mühe. Wer greift zur Initiative? Wenn sie wirklich reformunfähig wäre, dann sollten wir die Helvetische Conföderation sofort aufgeben.

Die gegenwärtige europäische Planung lebt vom Geist des 19. Jahrhunderts. Damals bildeten sich die grossen Nationalstaaten und strebten, oft mit dem Reichtum aus ihren Kolonien, nach Vorherrschaft. Kleinere Gruppen, darunter die Schweizer Kantone, mussten nachziehen, wollten sie nicht aufgesogen werden. Europäische Verträge, zum Zweck der Zügelung der Nationalstaaten abgeschlossen, sollen nun offenbar die Teufel mit Beelzebub austreiben. Supernationen, nämlich die USA und die UdSSR, haben ja das Vorherrschaftsspiel im 20. Jh. in einer globalen Variante gespielt. Statt Kolonien hielten sie sich Satelliten und Hörige, führten einen kalten und Stellvertreter-Kriege. Einige Westeuropäer träumten, im Bewusstsein der zahlenmässigen und wirtschaftlichen Überlegenheit eines vereinten Europas über die beiden Supermächte, von einer dritten Kraft. Jetzt ist die eine Grossmacht geplatzt, die andere geschwächt. Das Spiel um Vorherrschaft ist aus. Die "Europäische Union" mit der Wirtschaftsgemeinsschaft, dem Wirtschaftsraum, der Währungsunion und der politischen Vereinigung als Etappen ist Schnee von gestern. Der schmilzt mit dem Abtreten der Mitterands, der Kohls, der Andreottis, ...

Das Brüsseler Projekt ist überdies weltblind. Die Mitgliedschaft im EWR zwänge die Schweiz zu einem fremdbestimmten Verhältnis zum Rest der Welt. Die Prioritäten heute müssen aber ganz andere sein: Was not tut, ist eine erdverträgliche Wirtschaft, nicht weiteres Wachstum des Ressourcenumsatzes. Dringend ist ein vernünftiger Aufbau von Ost-Mitteleuropa. Unaufschiebbar ist ein tragbares Verhältnis zur Dritten Welt. Ein globales Friedenssystem muss das Ziel sein, nicht eine neue Supermacht.

Eine Rolle für die Schweiz -- jenes Land, in dem die Politiker aus Tradition nicht ihrem Grössenwahn überlassen, sondern von unten her kontrolliert werden: diesem unzeitgemässen Projekt laut und deutlich Einhalt zu rufen. Stellvertretend für andere, welche dies härter treffen könnte. Die neue Weltlage muss das politische Handeln endlich bestimmen. Die Eingliederung der Schweiz in ein weltoffenes, würdiges und gerechtes Europa wird auch zu einem späteren Zeitpunkt willkommen sein. Einen Warnruf werden uns viele danken.

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