Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Newspaper Column 1992

Wie man eine Uni erledigen kann

1992.15

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Bund-Kolumne. Der Bund (Bern) Nr.114 vom 16.5.92, S.17

© 1998 by Alfred Lang

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Man nehme ein Bildungssystem. Seinen mittleren Teil zum Beispiel, Gymnasium genannt, greife man aus dem Ganzen heraus und blase ihn tüchtig auf. Infolge von allerlei Zeitumständen und Sachzwängen beim "Ausschöpfen der Begabungsreserven" vergesse man dann beflissentlich, dass man eigentlich etwas Besonderes vorbereiten wollte, nämlich eine Elite, d.h. die Besten. Schliesslich können ja alle alles!

Dann nehme man zum Beispiel die Universität. Im Namen der Gerechtigkeit -- Bildung ist ein öffentliches Gut für alle! -- setze man sie in arge Verlegenheit: soll sie den vielen dienen, die da kommen, oder soll sie die wenigen fördern und ihnen Horizonte öffnen, die da etwas können und wollen? Da die Uni der Allgemeinheit dienen soll, muss sie wie die Politiker in der Demokratie den Gegenwärtigen schmeicheln und die Interessen der Künftigen zurückstellen. Sie nimmt alle auf und wächst und wächst und ...

Drittens nehme man eine Reihe von an sich vernünftigen Menschen und schmeichle ihnen mit dem Prestige einer altehrwürdigen Institution. Und siehe da, sie erliegen dem spröden Charme der Alma Mater. Für ein Diplom verbringen sie die besten Jahres ihres Lebens in einer Tretmühle von Lehrprogrammen und Examensduschen und lassen sich zu Spezialisten dressieren. Wenn sie herauskommen, mit oder ohne Diplom, haben sie 20 Jahre lang sich vorbereitet ohne je gebraucht zu werden. Worauf vorbereitet?

Schliesslich, wenn nun die Mühle in Überbelastung und Finanznot ächzt und holpert, versuche man zu retten, was noch zu retten ist. Zum Beispiel indem man dem Grossbetrieb eine zünftige Verwaltung verpasst. So wird die von den Professoren seit alters her gepflegte Selbstverwaltung endlich professionalisiert und dem ganzen Haufen von Forschenden, Lehrenden und Lernenden der rechte Respekt beigebracht. Mit erhobenem Europa-Drohfinger und ein bisschen Privilegien- Zuckerbrot ist bequeme Botmässigkeit leicht zu erreichen.

Und so weiter und so fort ...

Leider verbieten die Regeln der Redaktion dieser Kolumne die farbenreiche Illustration meiner Rezepte, die heute zu einem guten Kochbuch gehört. Ich konnte nur eine Kostprobe beschreiben. Aber für die Rezepte kann ich bürgen. Denn ich bin selber seit Jahren bei ihrer erfolgreichen Anwendung dabei. Als Opfer und als Mittäter in Personalunion, wie das für Rollenspieler in sozialen Systemen normal ist.

Sie finden mein Rezeptbuch merkwürdig? Hätten lieber gelesen: wie man eine Universität retten kann. Falls sie noch zu retten ist. Sie zählen also zu denen, die sie noch für wichtig halten? Denken daran, dass die Universität im Mittelalter erfunden wurde, um den himmlischen und irdischen Mächten zu trotzen, um die Menschen aus den Fängen der Dogmen, der Zwecklügen, der Abergläubigkeiten zu befreien. Oh, was haben wir unsere Vernunft neuen Mächten verkauft!

Oder Sie zählen zu denen, welche die Universität für ein Auslaufmodell halten? Die von ihr verschlungenen jährlich 300 Millionen Franken wären anderswo nützlicher, finden Sie? Für Sozialwerke zum Beispiel, für Abfangjäger, für Entwicklungshilfe, für Agrarsubventionen, für Staatskuh-Melker allenthalben. Die dort auf der grossen Schanz oben kämpfen schliesslich auch nur, wie alle andern, für ihre eigenen Interessen, nicht wahr?

Oder Sie halten das Thema nicht für aktuell? Weil alles in bester Ordnung ist, jawohl! Schliesslich haben wir es geschafft, unserer Jugend zwanzig Jahre Freiheit zu schenken. (Zwanzig Jahre in der Schule -- wer soll da noch Lust haben, sich Freiheit zu erobern?) Und überhaupt, wir brauchen die Fachleute, sie sind unser einziges Kapital.

Dass ich zu diesem Thema nur zynisch schreiben kann, nehme man mir bitte nicht übel. Die Sorge um die Zukunft der Uni muss aber ins öffentliche Gespräch. Es geht mir nicht um Zuweisung von Schuld. So recht Verantwortliche sind nämlich nicht auszumachen, obwohl es ja auch nicht einfach von selbst so gekommen ist. Schliesslich wird es in allen zivilisierten Ländern so gemacht. Wie sollten wir da in Bern, in der Schweiz anders können? In Frankreich macht schon mehr als die Hälfte der Jahrgänge die Matur, das Ziel der Planer für die Jahrtausendwende ist 80%. "Universität" für alle!

Eine "gigantische Fehlleistung der Politik" ist dieser Austausch von Quantität gegen Qualität. Das Zitat stammt von einem unserer prominentesten Hochschulpolitiker. Er hat mit seiner flammenden Rede gar nichts ausgelöst. Was ist schiefgelaufen?

Vielleicht haben wir die zwei wesentlichen Funktionen der Hohen Schule und der Universität zu sehr ineinander vermengt und müssen sie sinnvoll zu entflechten versuchen. Es braucht diese beiderlei Eliten, so eng wie nur möglich aufeinander bezogen:

1) Wir müssen Spezialisten der besten Qualität in den akademischen Berufen ausbilden und Problemlösungsforschung betreiben, das ist die Ausbildungsaufgabe, die Nützlichkeitsfunktion.

2) Eine offene Gesellschaft braucht aber auch sensible Stellen -- Augen, Ohren, Köpfe, Herzen, Hände, Neugier und Mut --, wo sie sich selber und alles Geschehen in ihr beobachtet, vergleicht, bewertet, versuchsweise ausprobiert, im Dialog der Generationen Entwicklungen ohne Zielvorgaben betreibt. Für eine offene Gesellschaft ist diese Bildungs-, Forschungs- und Entwicklungsaufgabe unentbehrlich. Die Universität betreibt sie mit den Vernunftmitteln der Wissenschaft; gleichwertig tun dies die Künste mit ihren eigenen Mitteln. Armer Staat, der dies für Luxus hält.

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