Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Magazine Article 1990

Mehr und besser?

Über Raumansprüche und Gestaltungsangebote

1990.03

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Information Raumplanung 5 (2) 1990 3-5

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Inhalt

 


Raum und Gestaltung

Eines der grossen Wunder und Rätsel der Natur (!) ist die Tatsache, dass Menschen ihre räumliche Umgebung gestalten. Sie haben - man weiss das nicht so genau - vor einigen hunderttausend Jahren damit angefangen und seit einigen zehntausend Jahren Schmuck- und Kultsachen gestaltet, Werkzeuge verfertigt und Bauten und Siedlungen angelegt. Das ist erd- und lebensgeschichtlich eine ganz kurze Zeit. Und erst seit einigen Jahrzehnten häufen wir gestaltetes Zeug in unserer Umgebung in einem Ausmass an, dass vielen von uns angst und bange geworden ist. Wir können wohl nicht einfach aufhören damit. Aber wir können versuchen, dieses rätselhafte Tun besser zu verstehen. Je besser wir es verstehen, desto leichter müsste es sinnvoll zu ändern sein.

Auf die Frage, warum Menschen ihre Umgebung überformen, haben wir gar keine befriedigende Antwort. Auch über die Frage, wozu das alles gut sein könnte, ist viel spekuliert worden. Aber alle Antworten - es diene der höheren Ehre Gottes, es mache uns Spass, es gebe uns Komfort, es sichere unser Überleben etc. - sind nur ihrerseits verkappte Fragen; denn die gegenteiligen Antworten überzeugen ebenso: es ist vom Teufel, es langweilt und quält uns, es frisst unsere Zeit, unsere Ruhe, uns selbst.

 

Das Maximierungsprinzip

Besonders eigenartig ist, dass wir in unserer Zivilisation immer mehr dazu neigen diese raumgestalterischen Tätigkeiten einem Maximierungsprinzip zu unterstellen und uns (und den andern) sogar viel davon versprochen haben und immer noch versprechen. Die anderen Menschengruppen in der Welt gehen allerdings, wenn wir ihnen unser Zeug aufdrängen, viel rascher und gründlicher als wir in ihrer Eigenart zugrunde, da sie offenbar meistens - wie wir früher auch - ein subtiles Optimum errungen hatten, ihrer Umwelt nur so viel Überformung zuzumuten, wie sie verträgt.

Maximierung heisst: immer mehr und immer besser. Die Quantität des Raumes, den wir direkt für unsere Zwecke verformen, haben wir im 20. Jahrhundert vervielfacht. Das Raumplanungsgesetz hat bisher zur Hauptsache nicht den Zuwachs, sondern nur die Verwaltung des Zuwachses geregelt.

Auch die Qualität der Gestaltung wird unter dem Maximierungsprinzip diskutiert, obwohl sich das als recht schwierig erweist und nicht so leicht verwaltet werden kann. Die Sprache, die nicht selten heimliche Wahrheiten offenlegt, bietet uns den Ausdruck Qualität in zwei Bedeutungen an. Eigentlich meint "Qualität" einfach das Sosein (quale) einer Formung, ist also wertneutral. Der Ausdruck "Gestaltungsqualität" impliziert jedoch fast immer eine Bewertung. Jeder und jede weiss, was Qualität hat, was gut ist.

Während wir für die Grösse des Raumes, den jeder von uns beanspruchen kann, eine Währung in Form des Geldes gefunden haben, die wir - manchmal neidvoll und zähneknirschend - akzeptieren, herrscht auf dem Feld der Gestaltung der erbittertste Streit. Wie in anderen Bereichen gesellschaftlichen Geschehens haben sich "Fachleute für Gestaltung" erfunden und uns in geschickter Weise veranlasst, ihnen den generellen Auftrag zu geben, für die bessere Gestaltung zu sorgen.

Frustriert müssen wir allerdings dann ebenso ohnmächtig wie beim Raum zusehen, dass sie nicht unsere Gestaltung machen, dass wir ihre verrückten Gestaltungen oft nicht lesen und dass wir uns mit ihnen nicht identifizieren können.

 

Der eigene Raum und die eigene Gestalt

Warum streiten wir über Gestaltungsqualität? - Raum und Gestaltung sind zwei bedeutsame Träger oder Instrumente zum Herstellen von Eigenheit und Zugehörigkeit.

Gelingt es einem Individuum oder einer Gruppe, mit einem räumlichen Ausschnitt aus der Welt eine solche Verbindung einzugehen, dass andere ringsum, indem sie diesen Ort achten, auch diese Person oder diese Gruppe würdigen, so ist auf einfache und vor alle andauernde Weise ein wechselseitiges Verhältnis definiert. Alle mit "eigenem" Raum - im Begriff der Territorialität sind diese Sachverhalte m.E. recht unglücklich erfasst - gewinnen an Eigenheit, da ihnen ihr Ort einen grossen Teil der sonst ständig gegenüber andern notwendigen "Definitionsarbeit" abnimmt. Sie gewinnen aber gleichzeitig Zugehörigkeit, und dies in zweierlei Hinsicht: diejenigen, die gemeinsam einen Ort zu eigen haben, werden ganz anders als wenn sie vereinzelt im allgemeinen Raum umherirrten, zueinander finden (wollen oder müssen). Und zweitens wird auch mit jenen andern ausserhalb des eigenen Raumes eine Form von Gemeinsamkeit unvermeidlich sein. Grenzen verbinden nämlich ebensosehr, wie sie trennen, wenn wir sie geeignet gestalten.

Ich muss an die Leser appellieren, dass sie sich hier viele ihrer Erfahrungen mit räumlicher Verbundenheit in Erinnerung rufen: in ihrem Zimmer, in ihrer Wohnung, in ihrer Nachbarschaft, an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Landschaft oder Nation. Natürlich ist das Gewinnen und Behalten solcher Verbundenheit nicht in jeder Hinsicht selbstverständlich. Manchmal muss sie schmerzlich errungen werden, manchmal stört sie, manchmal muss man seine Wurzeln sogar ausreissen.

Und der eigene Raum will gepflegt sein. Umweltgestaltung ist Kultivation des eigenen Raumes. Was nur einmal und einmalig erworben wurde, ist gefährdet. Instrumente, besonders, wenn sie so fundamental sind wie Raum, wollen ständig unterhalten, verfeinert, verbessert werden. Selbst dann, wenn man sie vorgefertigt als Teil einer Tradition übernimmt, müssen sie persönlich überformt werden, um nicht nur Zugehörigkeit, sondern auch Eigenheit zu tragen.

Wessen Raum soll als Träger von Eigenheit und Zugehörigkeit kultiviert werden? Das ist in wenigen Sätzen schwer zu umschreiben. Prinzipiell meine ich, dass alle Menschen oder Menschengruppen, die einen Anspruch auf "ich" oder "wir" erheben, in irgendeiner Form und Dauer, eigenen Raum und eigene Gestaltung benötigen. In unserer Gesellschaft ist natürlich jedes Ich gleichzeitig ein Teil von vielen Wir. Das kompliziert die Sache ein wenig, sollte aber nicht ablenken vom Grundsatz, der den Rang eines Menschenrechts für Individuen und Gruppen haben soll: das Anrecht auf eigenen Raum und eigene Gestaltung.

 

Raumansprüche: ein Nullsummenspiel

Obwohl nach dem Gesagten eigene Gestaltung einen eigenen Raum wenigstens ein Stück weit voraussetzt, besteht nun ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Ansprüchen.

Vom Raum ist nur eine endliche, klar begrenzte Gesamtmenge überhaupt verfügbar. Wenn alle immer mehr Raum beanspruchen wollen, um ihre Eigenheit und Zugehörigkeit immer vollkommener zu realisieren, kann die Rechnung nicht aufgehen. Das gesellschaftliche Umgehen mit Raum ist, kurz gesagt, ein Nullsummenspiel. Will ich mehr Raum beanspruchen, so muss er letztlich einem anderen weggenommen oder vorenthalten werden. Die Gesamtsumme kann nicht vermehrt werden.

Das Maximierungsprinzip bezüglich Raum in seiner Bedeutung für Eigenheit und Zugehörigkeit ist also letztlich tödlich für die Betroffenen. Das lehrt uns sogar die politische Geschichte, auch wenn sich Personen und Gruppen manchmal einige Zeit über die Folgen des Entzugs eigenen Raums hinüberretten können.

 

Gestaltungsangebote: ein offener Prozess

Anders bei den Gestaltungsansprüchen. Grundsätzlich heisst gestalten ja gerade, immer wieder etwas Vertrautes aber zugleich Neues zu erfinden. Das drückt Eigenheit in Form von Einmaligkeit aus - und einmalig ist tatsächlich jede und jeder von uns - und bringt Erneuerung in die Zugehörigkeiten - und Variation ist die menschliche Kondition -, ohne dass es die Tradition völlig verleugnet. Gestaltung ist grundsätzlich ein offener, endloser Prozess. Allerdings gilt die Regel, dass Altes vergehen muss, um Neuem Platz zu machen.

Denn es ist so, dass die Welt das Maximierungsprinzip auch bei der Gestaltung nicht erträgt. Freilich aus ganz anderen Gründen als beim Raum. Ich nenne zwei: (a) Gestaltung, besonders im Räumlichen in relativem Unterschied zum Dinglichen, ist eher darauf aus, die Stabilität der Welt zu betonen; zu rascher Gestaltwechsel schwächt diesen Sinn. (b) Gestaltung ist sinnlos, wenn sie nicht daraufhin angelegt ist, von jemandem aufgenommen zu werden, der über die Möglichkeit verfügt, sie einigermassen ihren Intentionen entsprechend zu verstehen. Seine Eigenheiten und Zugehörigkeiten gestaltend ausdrücken zu können ist zunächst nicht mehr als ein Angebot an die andern und eine Hoffnung, dass die Botschaft aufgenommen werde. Durchsetzen kann man die Annahme seiner Ansprüche nur mit Macht.

Nichts Grundsätzliches müsste uns eigentlich hindern, die Welt zur Gänze zu überformen. Da dies aber zu einer nicht mehr aufnehmbaren Überfülle und damit zur Beeinträchtigung gerade der Botschaften des Gestalteten führen müsste, sind praktische Grenzen dennoch gesetzt. Ein Gestaltungsüberangebot in zu grosser Differenzierung und zu raschem Wechsel ist vielleicht nicht tödlich, aber lähmend; es steht sich selber im Weg.

 

Raum und Gestaltung als Herrschaftsmittel

Denn wer in der Lage ist, Raum zu beanspruchen und gestaltend zu überformen, tritt mit den andern in einen Dialog. Er übt Einfluss auf andere aus und muss eigentlich daran interessiert sein, sich auch von den andern beeinflussen zu lassen. Das Maximierungsprinzip, konsequent angewendet, müsste jedoch zu Monopolansprüchen führen, welche den Dialog selbst widerlegten. Es wird hier sichtbar, was die Geschichte bezüglich Raum und Gestaltung eindrücklich lehrt: beides sind Herrschaftsmittel von nachhaltigster Kraft. Vielleicht nicht ganz so hart wie nackte Gewalt. Genau genommen sind Versagung von Raum und "fremde" Gestaltung jedoch eine Beeinträchtigung der Würde der Person, die wir in einer freien Gesellschaft erklärtermassen so nachhaltig schützen wollen wie das Leben.

Was hier "fremd" heisst, ist freilich eine äusserst heikle Frage. Alles was von einem "Wir" im obengenannten Sinn kommt, ist natürlich nicht fremd. Wir könnten an Zugehörigkeit, die sich in gemeinsamen Gestaltungen verwirklicht, nach meiner Meinung auch zum persönlichen Gewinn viel mehr interessiert sein, als dies in der gegenwärtigen Epoche des übersteigerten Individualismus üblich geworden ist. Wir sollten uns nicht Illusionen darüber machen, in welchem Ausmass heute mittels baulicher Gestaltung und durch Konsumzeug von verhältnismässig wenigen Herrschaft über sehr viele ausgeübt wird. Machtvolle oder offizielle Gestaltung kann uns ein fremdes "Wir", eine Zugehörigkeit gegen uns selbst, aufzwingen. Es ist also angezeigt, gerade mit gemeinsamen baulichen (Gegen-)Gestaltungen die bedrohliche Übermannigfaltigkeit zu vermindern und Gemeinschaft auf allen Ebenen zu fördern.

 

Behördlicher Umgang mit Gestaltung

Lassen sich aus dem Gesagten Konsequenzen ziehen für die Art und Weise, wie staatliche Instanzen mit Raum und Gestaltung umgehen sollten?

Das Nullsummenspiel mit dem Raum, wenn es von einigen mit vollem Einsatz "gespielt" wird, gereicht anderen zum gravierenden Schaden. Es lässt sich also eine öffentliche Verantwortung für den Raum ableiten.

Anders ist es mit der Gestaltung. Ist ihre Freiheit grundsätzlich unbegrenzt und das Maximierungsprinzip gewissermassen nur aus "praktischen" Gründen Fehl am Platz, so kann dessen Regulierung bedenkenlos dem Austausch unter den beteiligten und betroffenen Personen und Gruppen selbst überlassen werden. Staatlicher Schutz ist fehl am Platz, da er sich bei näherem Zusehen nicht selten als Unterstützung bestimmter, partikularer Positionen erweist, die zu Unrecht geltend machen, dass ihre Ziele den Interessen der Allgemeinheit dienten. Man darf dabei nicht vergessen, dass es in den behördlichen Strukturen heute manche Position gibt, die an Einflussmöglichkeit die Macht feudaler Herren deutlich übersteigt. Gerade die scheinbar so harmlosen Gestaltungsfragen haben es in sich. Es geht ja nicht um viel Geld, nur umÄsthetik. Keine Parlamentarische Untersuchungs-Kommission wird sich der Sache annehmen. Gestaltung aufs Ästhetische zu reduzieren, ist aber eine äusserst verkürzte Sicht ihrer Bedeutung.

Was der Staat bereitstellen sollte, sind Plattformen für den Austausch der Meinungen und die gemeinsame Entscheidungsfindung über Gestaltung im konkreten Fall, also Gesprächsforen und beratende Fachleute mit unterschiedlichen Perspektiven. Generelle Gestaltungsvorschriften, ästhetische Kommissionen mit Entscheidungsbefugnis, allgemeinverbindliche Expertendekrete und dergleichen sind aber nach meiner Meinung Institutionen, die in einer freien Gesellschaft gegen den Sinn der Gestaltung selbst verstossen, Eine Ausnahme möchte ich gelten lassen: eine öffentliche Instanz die in bedeutsamen Raumbereichen die langfristige Kontinuität gewordener Gestaltungen vertritt und gegen die aktuelle wirtschaftlich Macht über etwas längere Spiesse verfügt.

 

Kann Gestaltung Raum kompensieren?

Raum und Gestaltung wurden sind hier als zwei unerschiedliche Träger von gleichartigen psychologischen Prozessen dargestellt worden. Da Raum im beschriebenen Sinn knapp, Gestaltung relativ unbegrenzt ist, stellt sich die Frage, ob man mit geschickter Gestaltung die Folgen eingeschränkter Raumansprüche kompensieren kann.

Hier ist nicht der Ort, dieser Frage im einzelnen nachzugehen und ihre Beantwortung zu begründen. Teilweise gestützt auf empirische Untersuchungen lässt sich zusammenfassen: Ohne ein Minimum an räumlicher Ausbreitung ist keine Gestaltung möglich; ist dies erfüllt, so gibt es durchaus Gestaltungeweisen, welche geeignet sind, nachteilige Auswirkungen von räumlicher Enge zu mildern.

Viele Beispiele des verdichteten Wohnungsbaus mit teilweise von den Bewohnern als sehr hoch eingeschätzter Lebensqualität sind ein guter Beleg dafür. Nicht selten wird aber das Gestalterische allzu getrennt vom Räumlichen behandelt und damit das Mögliche schlecht genutzt. Ich wage die These, dass die Raumansprüche in den vergangenen Jahrzehnten auch deswegen über das Sinnvolle hinaus gestiegen sind, weil wir schlecht verstanden haben, dass geometrische und psychologische Distanz nicht zusammenfallen, obwohl beide dazu beitragen soziale Bezüge zu definieren. Psychologische Distanz zwischen Menschen wird stark von der Gestaltung des Raumes zwischen ihnen bestimmt.

Etwas schlagwortartig skizziert: im Zuge des Bevölkerungszuwachses bei gleichzeitig starker Individualisierungstendenz wurde zunehmend Enge des Zusammenlebens empfunden. Als Reaktion darauf hat man, auch weil man es sich leisten konnte, primär die geometrischen Distanzen zu erhöhen versucht und mit simplen Gestaltungsmitteln die Separatheit von Personen betont (jedem sein eigenes Zimmer, die benachbarten Wohneinheiten durch "harte" Wände, entsprechend grossen Distanzen, schroff voneinander getrennt). Die verbindenden Bedeutungen von Grenzen und Gestaltungen wurden dadurch eher übersehen und vernachlässigt. Dazu beigetragen haben entsprechende rechtliche Bestimmungen (Parzellierung, Grenzabstände, Brandmauersysteme) und die industrieorientierte Massenfertigung.

Ich glaube, dass wir für diese Entwicklung ein Preis bezahlen, der in den kommenden Jahren zunehmend härter sich geltend machen wird. Seine Namen sind Vereinzelung und Vereinsamung. Bei der Volkszählung 1990 werden über ein Drittel der Haushalte in der Schweiz Einpersonenhaushalte sein, in den grossen Städten mehr als die Hälfte. Davon sind nur etwa ein Drittel ältere Personen, die Mehrzahl sind sog. Singles zwischen 20 und 40. Natürlich ist Alleinwohnen nicht gleichzusetzen mit Einsamkeit; aber eine förderliche Bedingung ist es schon.

 

Kritik an zwei geläufigen Ausdruckweisen

Zum Schluss möchte ich mit dem gedankenlosen Gebrauch von zwei Ausdrücken ins Gericht gehen und zu ihrer wohlbedachten Verwendung aufrufen.

Lesbarkeit ist ein Begriff, der in Gestaltungsfragen immer wieder eine grosse Rolle spielt und oft dazu eingesetzt wird, für ein partikulares ästhetisches Urteil allgemeine Verbindlichkeit zu beanspruchen. Einen Text lesen können, heisst aber mehr als die Buchstaben und Wörter der verwendeten Sprache kennen; man muss auch den Inhalt einer Botschaft verstehen können. Ich empfehle, den Ausdruck nie zu verwenden ohne anzugeben, von wem denn nun was aus der beurteilten baulichen Situation herausgelesen werden soll und kann.

Noch problematischer ist die Verwendung des Ausdrucks Identifikation. Wenn ein Architekt oder Planer beansprucht, dass man sich mit diesem oder jenem Werk identifizieren könne, so bedeutet das wörtlich, dass es ein Werk von allgemeiner Verbindlichkeit sei, ein Werk also, welches dem "Wir" von uns allen entspringe und es für "alle andern" (die es ja dann genau genommen gar nicht mehr gibt) gelte. In einer pluralistischen Gesellschaft kann es allgemeinverbindlich Gestaltetes jedoch zum vornherein nicht geben. Die Propagierung einer verbindlichen Form ist ein Versuch zu Machtergreifung. Wer im Zusammenhang mit Gestalteten von Identifikation spricht, muss also immer angeben, wer der Absender und wer der Adressat des Werkes sein soll.

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Zur Person

Alfred Lang ist Professor für Psychologie an der Universität Bern. Sein Hauptinteresse gilt dem Problem der Wahrnehmung - wie Menschen aus ihrer Umgebung Information aufnehmen - und der sogenannten Umweltpsychologie - einem Versuch, das Verhältnis zwischen den Menschen und der Welt besser zu verstehen. Mit einer kleinen Mitarbeitergruppe und interessierten Studierenden zusammen denkt und forscht er über den Umgang mit Dingen, die Tätigkeit des Wohnens, den Gebrauch von Plätzen und Siedlungen, und andere von der Psychologie vernachlässigte Gestaltungen in unserer Kultur, immer vom Menschen her und auf Menschen hin.