Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Dictionary Entry 1984

Ökologie (psych.)

1984.05

@EcoPersp @SciHist

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In: Ritter & Gründer (1984). Band 6 des Historischen Wörterbuchs der Philosophie. Basel/Stuttgart, Schwabe. Pp. 1147-1149.

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II. Psychologie. -- Schon 1911 in der ersten Auflage seiner <Geopsyche> [ 1 ], vor allem aber in seiner <Psychologie der Umwelt>, hat W. HELLPACH gefordert, die Psyche sei zu untersuchen, «sofern sie von ihrer tatsächlichen Umwelt abhängig ist» [2]. In Ausweitung der Ansätze seiner biologischen Vorgänger hat er vorgeschlagen, die Umwelt einzuteilen in die: a) natürliche, d.h. die physischen Gegebenheiten, die den Menschen «geopsychisch» beeinflussen und die der Mensch «geurgisch» gestaltet; b) soziale, d. h. die Individuen und Gruppen, mit denen der Mensch in Beziehung tritt; c) kulturelle, d. h. die (in heutiger Sprache) symbolisch repräsentierten Gegebenheiten.

In den zwanziger Jahren hat K. LEWIN erkannt. daß psychologische Erklärung weder allein aus innerpsychischen Dispositionen noch allein aus verhaltensverursachenden Stimuli, sondern nur aufgrund des organisierten Insgesamts von Innen- und Außenbedingungen möglich ist; daraus resultierte seine berühmte Formel vom Verhalten als Funktion von Person und Umwelt (V = f( P. U)) [3]. Der Ausdruck <psychologische Ökologie> findet sich wohl erstmals in einem Aufsatztitel Lewins [4]. Im Konstrukt des Lebensraumes (s.d.) hat Lewin die vom Individuum wahrgenommene Umwelt einzubeziehen versucht, um aufzuzeigen, welche Teile der psychischen, sozialen und kulturellen Welt jeweils mit welchen Bedeutungen als Ziele, Hindernisse, Grenzen usw. das Handeln bestimmen. Zentral und doch weitgehend mißachtet war Lewins Postulat, daß wir die Person und die Umwelt in einer gemeinsamen «Sprache» behandeln müssen; er hatte sich im Rahmen der Kantischen Tradition unter dem Einfluß E. CASSIRERS für eine «psychologische Repräsentation» entschieden.

Im Unterschied dazu hat E. BRUNSWIK [5] in der empiristischen Tradition und unter dem Einfluß des Neopositivismus des Wiener Kreises einen eher physikalistischen Ansatz entwickelt, der als Funktionalismus die Anpassung des Individuums an die in der Umgebung vorgefundenen Verhältnisse betont. Im Wahrnehmen reduziert das Individuum die gegebene Mannigfaltigkeit und bereichert sie wieder aufgrund seines Vorwissens (Linsenmodell). Psychologie, so verstanden, ist eine Bemühung um die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen zwei aufeinander bezogenen Systemen, dem Individuum und der Situation, die beide mit gleichem Respekt behandelt werden müssen [6].

Zwar lassen sich um die Mitte des Jahrhunderts vereinzelt weitere ökologisch konzipierte Theorie-Ansätze in der Psychologie ausmachen, die eine «Zusammenschau» von Mensch und Umwelt anstreben [7]. Doch dominieren entweder Ansätze, die den Menschen und sein Verhalten aus Eigenschaften des Menschen selbst verstehen wollen - so insbesondere weitgehend die differentielle Psychologie und ihre Anwendungspraktiken in der Diagnostik und Psychotherapie -, oder es wird behauptet, das Verhalten sei Resultante der auf den Menschen wirkenden «Reize» so die sogenannte experimentelle Psychologie, insbesondere der behavioristische Ansatz.

Etwa im Lauf der sechziger Jahre entstand dann primär aus praxisbezogenen Impulsen die sogenannte Umweltpsychologie, das ist der Versuch, für psychologische Aspekte der Mensch-Umwelt-Beziehung insbesondere in der gebauten Umwelt des Wohnbereichs, des Freizeitbereichs, der Institutionen, der Städte usw. wissenschaftlich fundierte Entscheidungs- und Bewertungsgrundlagen zu erarbeiten [8]. Für diese praktisch bedeutsamen Entwicklungen ist aber nicht nur ein starkes Theorie- und Methodendefizit offensichtlich, sondern es fehlt auch an einer weithin akzeptierbaren Grundstruktur von Begriffen und Fragestellungen.

Zu Beginn der achtziger Jahre läßt sich das Feld ökologischen Denkens in der Psychologie wie folgt umschreiben [9]: a) Eine reduzierte Bedeutung erhält der Begriff <ökologisch> nicht selten im Sinn von 'naturbezogen', 'an konkreter Wirklichkeit orientiert'. Kennzeichnend dafür ist etwa die Gleichsetzung von ökologisch mit <Feld> im Gegensatz zu <Labor>. Ökologische Validität hat jedoch Erkenntnis, wenn sie auf konkrete Umwelt generalisiert werden kann, egal ob sie dort oder im Labor gewonnen worden ist. - b) Zunehmend ökologisch orientierte Konzepte werden in der sogenannten Kognitiven Psrchologie verwendet [10]. Das Interesse gilt hier der im Individuum symbolisch repräsentierten Umwelt. Oft steht dabei die sozio-ökonomische Bedingtheit des menschlichen Daseins im Vordergrund. Es handelt sich im wesentlichen um eine Wiederholung der Lewinschen Lebensraum-Konzeption, terminologisch und methodologisch reformiert und inhaltlich ausgeweitet. Sie entgeht nicht der Gefahr «phänomenalistischer Einkapselung» des Individuums, welche LEWIN und BRUNSWIK 1943 [11] gesehen haben, und verkennt eigentlich das ökologische Problem. - c) Die Psychologie wird nicht umhin können, den Akt der Begegnung bzw. die Transaktion zwischen Individuum und Welt ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit zu stellen. Damit wird die enge Verknüpfung der ökologischen Frage mit dem Problem der Entwicklung offensichtlich [12]. Eine 'reale ökologische Psychologie' des Handelns von realen Menschen in realen Umwelten fehlt aber noch weitgehend.

 

Anmerkungen. [1] W. HELLPACH: Die geopsych. Erscheinungen. Wetter, Klima und Landschaft in ihrem Einfluß auf das Seelenleben ( 1911); 5. Aufl.: Geopsyche ( 1939). - [2] Psychol. der Umwelt, in: E. ABDERHALDEN (Hg.): Hb. der biol. Arbeitsmeth. I/VI (1924) 110. - [3] K. LEWIN: Grundzüge der topol. Psychol. (1936, dtsch. Bern 1969). - [4] Constructs in psychology and psychol. ecology. Univ. Iowa Stud. Child Welfare 20 (1944) 1-29; dtsch. in: Feldtheorie in den Sozialwiss. (Bern 1963). - [5] E. BRUNSWIK: Wahrnehmung und Gegenstandswelt (1934). - [6] Vgl K. R. HAMMOND (Hg.): The psychol. of Egon Brunswik (New York 1966). - [7] Vgl. bes. R. BARKER: Ecolog. psychology (Stanford, Calif.1968); J. J. GIBSON: The ecol. approach to visual perception (Boston 1979); u. a. - [8] Vgl. etwa W. P. WHITE (Hg.): Resources in environment and behavior (Washington D.C. 1979); G. KAMINSKI (Hg.): Umweltpsychol. Perspektiven, Probleme, Praxis (1976). - [9] Vgl. J. C. GIBBS: The meaning of ecol. oriented inquiry in contemp. psychology. Amer. Psychologist 34 (1979) 127- 140. - [10] Vgl. U. NEISSBR: Cognition and reality (San Francisco 1976, dtsch. 1979). - [11] Symposium. Psychol. Review 50 (1943). - [12] Vgl. U. BRONFENBRENNER: The ecology of human development (Boston 1979, dtsch.1981); W. WALTER und R. OERTER (Hg.): Ökologie und Entwicklung (1979); C. F. GRAUMANN (Hg.): Ökol. Perspektiven in der Psychol. (Bern 1978); A. LANG: Vom Nutzen und Nachteil der Gestaltpsychol. für eine Theorie der psych. Entwicklung, in: K. FOPPA und R. GRONER (Hg.): Kognitive Strukturen und ihre Entwicklung (Bern 1981)154-173.

A. LANG

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