Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Journal Article 1979

Stellungnahme gegen die Reglementierung der Psychotherapie aus der Sicht eines allgemeinen Psychologen und eines besorgten Bürgers

Anhang: Gegen die Funktionalisierung des Existentiellen. Diskussionsbeitrag  1980-03

1979.01

@Ethic @SciPol

27 / 32KB  Last revised 98.10.31

Schweizerische Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen, 1979, 38 (4), 290-299.

Bulletin der Schweizer Psychologen (BSP), 1980, 1 (6), 49-52.

© 1998 by Alfred Lang

info@langpapers.org

Scientific and educational use permitted

Home ||

 

Bei der Lektüre des Artikels von V. HOBI (1979) und den Stellungnahmen seiner Amtskollegen in der klinischen Psychologie fällt mir auf, daß einige grundlegende Aspekte des Problems überhaupt nicht angesprochen werden. Sollte es sich wirklich nur noch um gewissermaßen technische Fragen handeln: Wer darf und wer nicht? Nur Psychologen, oder auch andere? Und die Ärzte? Selbständig oder nur im Rahmen der Heilberufe? Wie lange, von wem und auf welche Weise ausgebildet?

Nicht daß ich diese und solche Fragen für geringfügig und leicht lösbar halte; aber ich möchte doch die Professionalisierung und Reglementierung der Psychotherapie noch einmal grundsätzlich in Frage stellen. Ich tue dies im Bewußtsein, daß wenige mehr Solches hören wollen. Allzu selbstverständlich sind uns vielleicht die Wege etablierter Professionen geworden, zu weltweit haben die Staaten Lizenzierungssysteme eingerichtet. Allzu groß ist vielleicht auch der Druck einer großen Zahl von Berufsanwärtern geworden, die öffentlich anerkannt und merkbar von sogenannten Scharlatanen unterschieden sein möchten; zu stark wohl auch ein politischer Druck nach Ausdehnung der Wohlfahrtsidee auch auf den psychischen Bereich.

Dem entgegen möchte ich die These stellen, die Psychotherapie sei in einer pluralistischen Gesellschaft nicht zu reglementieren. Denn ich halte die damit notwendig verbundene Professionalisierung eines für die menschliche Existenz zentralen Lebensbereiches langfristig für schädlich: es geht hier um grundsätzlich andere, eben existentielle, und nicht bloß die üblicherweise und möglicherweise mit einem gewissen Erfolg reglementierten funktionellen Aspekte menschlichen Zusammenlebens.

Ich werde diese These von zwei Standpunkten her beleuchten, die außerhalb des direkten Interessenkreises liegen; denn ich bin weder an Psychotherapie interessiert, noch glaube ich, daß sich rechtfertigen läßt, daß sich jemand zum Advokaten eines immerhin selbst erfundenen «Konsumenten», aufschwingt und dessen Schutz zu institutionalisieren versucht, obwohl er gleichzeitig auch konträre [eigene] Interessen verfolgt. Einerseits werde ich also aus der Sicht eines allgemeinen Psychologen argumentieren; und hier vertrete ich dezidiert die Interessen einer jungen Wissenschaft, wie ich sie verstehe. Andererseits werde ich als überzeugter Verfechter einer liberalen Wertordnung einige Gedanken zum Status professionalisierter Psychotherapie im Ganzen der Gesellschaft außern.

 

Der Gesichtspunkt des Psychologen

Grundsätzlich bin ich der Meinung, die Psychologie werde, wie alle Wissenschaften, mit dem Ziel der Lebensverbesserung betrieben: der Menschen überhaupt - deshalb ist sie «öffentlich» - und auch derjenigen, die sie betreiben. Zwischen Grundlagenforschung und Anwendung in der Praxis dehnt sich ein breites Feld wissenschaftlicher Tätigkeit aus: eine scharfe Trennung ist unmöglich, ein intensiver Austausch für beide Teile gleichermaßen lebenswichtig. Eine Stärkung der Praxis, gewissermaßen die öffentliche Anerkennung eines Anwendungszweiges in Form der Legalisierung der entsprechenden Tätigkeiten müßte also auch dem Grundlagenwissenschaftler willkommen sein. Ich schätze dennoch die Nachteile einer solchen Reglementierung für das Ganze der Psychologie größer ein als den Nutzen. Dies hat damit zu tun, daß für mich vor allem die «Wissenschaftlichkeit» oder die wissenschaftliche Fundierung einer Tätigkeit eine Form der Rechtfertigung dieser Tätigkeit gegenüber den direkt oder indirekt davon Betroffenen darstellt. Von allen schlechten Formen der Rechtfertigung ist sie immerhin die beste, weil sie den Betroffenen prinzipiell in die Lage versetzt, die Begründung für das Tun und Lassen lückenlos und zweifelsfrei nachzuvollziehen. (Ich kenne nur noch eine bessere Form der Rechtfertigung, das ist die Liebe; sie eignet sich aber nur als Rechtfertigung gegenüber direkt «Betroffenen»; gegenüber den indirekt Betroffenen wirkt sie häufig verheerend.)

Mit Wissenschaft meine ich hier nichts anderes als die rationale Nachvollziehbarkeit eines möglichst umfassenden Zusammenhangs des jeweils zur Frage stehenden Sachverhaltes bis zurück zu einigen begrifflichen und methodischen Grundannahmen, über die allerdings Konventionen zu treffen sind. Ein wissenschaftliches Vorgehen kann insbesondere dazu dienen, wahrscheinlicheEntwicklungen eines Sachzusammenhangs, so weit eben die Kenntnisse im Augenblick reichen, offenzulegen und so das Treffen von persönlichen oder politischen Entscheidungen über anzustrebende Ziele und einzusetzende Mittel erleichtern.

Wenn man nun den Anspruch erhebt, die Tätigkeit in einem Praxisfeld solle wissenschaftlich fundiert sein - und das tun die Psychologen, wie an der «Wissenschaftlichkeit» ihrer Ausbildung deutlich wird -, so ist es überflüssig, ja schädlich, über diese nicht ganz schlechte Form der Rechtfertigung eine zweite, deutlich schlechtere Form aufzustülpen. Denn die Reglementierung eines Berufes läuft doch praktisch darauf hinaus, daß deklariert wird, derjenige, der zum Beruf zugelassen wird, übe diese Tätigkeit a priori korrekt und nutzbringend aus. Mit andern Worten, diese zweite Form der Rechtfertigung enthebt den Berufsmann gewissermassen der Verpflichtung, sich um die erste Form der Rechtfertigung weiterhin intensiv zu kümmern. Natürlich muß das nicht notwendig so sein, aber praktisch ist es naheliegend infolge der seltsamen Paradoxie, daß man einen Teil der ersten Rechtfertigung zum Kriterium der zweiten macht. Zur Tätigkeit der Psychotherapie soll ja besonders auch nach der Meinung der Dozenten für klinische Psychologie nur zugelassen werden, wer sich während einer gewissen Zeit mit wissenschaftlicher Psychologie beschäftigt hat.

Die Reglementierung der Psychotherapie impliziert also eigentlich eine Bankrotterklärung ihrer Wissenschaftlichkeit.

Das ist freilich nicht, was die Professoren der klinischen Psychologie anstreben; sie haben ja explizit den wissenschaftlichen Charakter der Ausbildung der Psychotherapeuten sowohl in der psychologischen Grundausbildung wie in der psychotherapeutischen Spezialausbildung auf ihre Fahnen geschrieben. Entweder ist also meine obige Argumentation falsch, oder aber die Kollegen haben das Bedürfnis, für eine bestimmte (d. h. jeweils «ihre») Wissenschaftlichkeit einen gesetzlich geschützten «Freiraum» zu errichten. Das geht natürlich auf Kosten irgendeiner andern, für weniger gut erklärten «Wissenschaftlichkeit». Ich habe keinen Anlaß, den Kollegen irgendwelche unlauteren Motive zuzuschreiben. Bis zum Beweis des Gegenteils möchte ich gutgemeinte Absicht aber auch jedem andern zubilligen, der sich für einen «Psychologen» hält. Ich weiß wohl, daß Auseinandersetzungen zwischen wissenschaftlichen «Traditionen» nie frei von «Politik» sein können (FEYERABEND, 1975); aber es sollte nicht nötig sein, gute Argumente mit Macht zu stützen.

Nun haben wir uns in unserer Gesellschaft daran gewöhnt, Probleme dieser Art auf eine weniger unbedingte Weise anzugehen. Ich will denn auch versuchen, ganz konkret mir vorzustellen, was man als praktische Folgen einer solchen Reglementierung zu erwarten hat. Ich halte die Vorzugsbehandlung eines Anwendungsfeldes einer auf sehr breitfächerige Anwendung angelegten Wissenschaft für nachteilig, weil sie diese Wissenschaft in Forschung und Lehre dazu nötigt, diesem einen Sektor eine Sonderbehandlung einzuräumen. Es wird schwieriger werden in einer Zeit knapper Ressourcen, für andere, nicht minder wichtige Sektoren Forschungsgelder zu erhalten. Es wird noch schwieriger werden als es ohnehin jetzt schon ist, im öffentlichen Bewußtsein die Psychologie als eine von Krankheit und Medizin zunächst und zur Hauptsache separate Unternehmung darzustellen. Es wird schwieriger werden, die Psychologie als eine Wissenschaft zu betreiben und sie vor Verwechslung mit einer problematischen Technologie zu bewahren. Es wird schwieriger werden als es jetzt schon ist, freimutig die Ignoranz in so vielen Dingen des Psychischen zu bekennen: vom offiziell anerkannten Fachmann erwartet man Lösungen, nicht Warnungen.

Vor allem aber erwarte ich nachteilige Folgen im Bereich der Ausbildung der Psychologen. Man wird mir triftig entgegenhalten, daß es im Gegenteil leichter sein wird, für eine an den Universitäten anzusiedelnde Psychotherapeuten-Ausbildung neue Stellen bewilligt zu erhalten; daß so erst überhaupt daran gedacht werden kann, die nötigen Einrichtungen für eine verantwortbare Praxis-Ausbildung zu schaffen; daß endlich eine Chance entstehe, das jetzt so extreme Mißverhältnis in den Studenten-Dozenten-Quotienten zwischen Medizin und Psychologie zu korrigieren; daß auch für die Grundlagenausbildung in den allgemeinpsychologischen Zweigen von der Wahrnehmungspsychologie bis zur Entwicklungspsychologie einige Brosamen abfallen werden. Das alles ist zunächst nicht auszuschließen, wenngleich keineswegs gesichert. Aber wir müssen einen hohen Preis dafür bezahlen. Für all diese in einem hybriden Zeitalter so erstrebenswerten Dinge müssen wir nämlich einen Teil unserer wissenschaftlichen Freiheit hergeben. Wenn wir jetzt freiwillig eine Forschung und Ausbildung betreiben, von der man erwarten kann, daß sie auf lange Frist zur Verbesserung der menschlichen Situation beiträgt, so werden wir im Hinblick auf die reglementierte Berufszulassung und im Rahmen einer reglementierten Berufsausbildung genau jene Dinge tun und lassen müssen, die diese Reglemente fordern - nicht nur durch Vorschriften, sondern auch durch Sachzwänge, die ja viel wirksamer sind. Man denke etwa an die Auswirkungen von Staatsexamensordnungen auf die Studienpläne und erst recht auf das ganze Studienverhalten. Artikel 33 der Bundesverfassung sieht vor, daß die Kantone «die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten von einem Ausweis der Befähigung abhängig» machen können; solche Ausweise müssen für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft gültig sein; dafür hat die Bundesgesetzgebung zu sorgen. Im Bereich des sog. Gesundheitswesens hat der Gesetzgeber in der Tat eine mächtige Zunft geschaffen. Brauchen wir wirklich etwas Analoges im Bereich unserer seelisch-geistigen Existenz?

Die Reglementierung der Psychotherapie und ihre zwangsweise Koppelung an die Psychologie bedeutet mithin den Anfang der Reglementierung der Psychologie; dies scheint mir unerwünscht und nachteilig sowohl für die Psychologie wie für die Psychotherapie.

 

Der Gesichtspunkt des Bürgers

Nun ist aber die Psychotherapie weder eine Sache der Psychologen noch der Mediziner allein. Betroffen ist auch jeder Bürger. Er hat es nicht leicht - schon gar nicht als Patient - in einer Sache, wo die Fachleute über einen solchen Wissens- und Prestigevorsprung verfügen und dennoch so unterschiedliche Meinungen vertreten. Ich will daher versuchen, vom Standpunkt eines neutralen Betroffenen aus zu argurnentieren.

Die erste Frage ist wohl, wie sichergestellt wird, daß jedermann im Falle entsprechender Bedürftigkeit eine ihm selber und seiner Umwelt in jeder Hinsicht gerecht werdende und effektive Dienstleistung erhalten kann. Und die zweite, nicht minder wichtige, von den Fachleuten, die sich zum Advokaten des Klienten erklären, in der Regel vergessene Frage: Wie wirkt sich so etwas auf die Gesellschaft insgesamt aus?

Psychotherapie dient der Behebung von psychischen Störungen, der Herstellung oder Wiederherstellung psychischer Integrität (was immer das sein mag) von Individuen und Gruppen. Sie ist also eine Art «Produktionsmittel» für private und auch öffentliche Dienstleistungen (öffentliche, weil indirekt auch andere betroffen sind, wenn dem einen in seinem Lebensplan geholfen oder nicht geholfen wird).

Damit stellt sich die Frage, wer dieses «Produktionsmittel» besitzen oder kontrollieren soll, wer zur Verminderung von Störungen und zur Verbesserung psychischer Integrität investieren und wer am direkten und wer am indirekten Nutzen teilhaben soll. In unserer Gesellschaft ist eine private, eine staatliche und eine gemischte .Bewirtschaftung. denkbar, selbstverständlich immer im Rahmen des Rechtsstaates. Faktisch haben wir in der Schweiz eine gemischte Ordnung, insofern der Staat für einen Teil der Ausbildung sorgt und eine Reihe von psychotherapeutischen Diensten führt, teils im Rahmen des sog. Gesundheitswesens, teils im Rahmen des Erziehungswesens, daneben aber jedermann psychotherapieartige Dienstleistungen anbieten kann, legalerweise freilich nicht zu Heilzwecken.

Ich halte diese Ordnung für angemessen und meine, daß sie nicht zugunsten des Staates verändert werden soll. Denn ein öffentliches Ziel von Psychotherapie kann nur die Normalisierung, die Anpassung von Abweichendem an das allgemein Akzeptierte sein; im Geiste pluralistischer Toleranz ist gewiß eine breite Duldung und sogar Förderung von Alternativen möglich, welche allerdings in Notzeiten leicht gefährdet sein können. Ich glaube daher, daß Psychotherapie grundsätzlich nicht als eine öffentliche Aufgabe betrachtet und vollständig dem Staat aufgetragen werden soll; denn sie ist ein Instrument, das dazu eingesetzt werden kann, das Recht des Menschen auf Abweichung zu beschneiden. Gewiß ist ein Anrecht auf angemessene medizinische und psychotherapeutische Versorgung eine großartige Errungenschaft menschlicher Solidarität, sofern es durch das ebenso wichtige Recht auf sein eigenes Leben und seinen eigenen Tod relativiert wird.

Die Ausgangsfrage nach der Sicherstellung einer adäquaten Versorgung reduziert sich damit auf die Frage nach der Aufsicht und Kontrolle. Wiederum ist eine staatliche oder eine private Einrichtung denkbar.

Die staatliche Aufsicht ist das in der gegenwärtigen Diskussion vorherrschende, in den Basler Kantonen realisiert und von den Kollegen einmütig begrüßte Modell der Reglementierung der Berufszulassung. In jeder denkbaren Variante der Staatsaufsicht ist man auf die Fachleute angewiesen, welche als Fachkommission oder -kammer die Zulassungskriterien aufstellen und die Grenzentscheide treffen. Mit andern Worten: die zu Beaufsichtigenden beaufsichtigen im Prinzip sich selber. Natürlich ist es leicht, in einem formalen Verfahren Schafe und Böcke auszusondern. Ob aber nicht manche zu Schafen erklärte dann Böcke und nicht manche Böcke eigentlich Schafe sind, ist nicht auszuschließen. Das mittelalterliche Zunftdenken lebt fröhlich weiter. Mein Gerechtigkeitsgefühl sträubt sich dagegen.

Aber wie unterscheidet man wirklich Fachleute von Scharlatanen? Doch wohl nur an ihrem Effekt, an ihrem Erfolg; vielleicht an einer geschätzten Wahrscheinlichkeit ihres Erfolges. Und da stellt sich die Frage, ob die Psychotherapie eine inserumentelle Methode oder eine an die Person des Therapeuten gebundene Sache ist. Eine instrumentelle Methode kann man als solche spezifizieren; sie kann von irgendjemand nach geeigneter Einführung übernommen und mit gleichem Effekt angewendet werden. Für ein Instrument kann man Erfolgswahrscheinlichkeiten abschätzen. Ziemlich einmütig sagen die Vertreter der psychotherapeutischen Richtungen, daß Ausbildung und Erfahrung essentiell, die Person des Therapeuten freilich auch wichtig sei. Die Erfolgsforschung spricht eine andere Sprache: es ist m. W. bisher nicht gelungen zu beweisen, daß langgeschulte und langerfahrene Psychotherapeuten bessere Erfolge erzielen als Ausbildungsanfänger und Laien. Die von DURLAK ( 1979) zugammegestellten 42 Vergleichsuntersuchungen beweisen eher das Gegenteil. Nach allen bisherigen Evaluationsergebnissen der Psychotherapie-Forschung kann man wohl sagen, daß die verschiedenen Formen der Psychotherapie insgesamt besser sind als nichts; d.h. im Durchschnitt ergibt sich eine Wirkung in der erwünschten Richtung (SMITH und GLASS, 1977). Aber leider wissen wir gar nicht, woran das liegt, welcher aufzeigbare Zusammenhang genau für die Wirkung verantwortlich ist. Mit wenigen Ausnahmen (wie VT bei gewissen Phobien) hat die Psychotherapie gemäß heutigem Kenntnisstand den Status eines Placebos.

Nach immerhin einigen Jahrzehnten Psychotherapie-Forschung wissen wir nicht, worauf es ankommt. Man kann diese Tatsache pessimistisch beurteilen oder auf die Erfolge künftiger Untersuchungen hoffen; aber nachdenklich stimmen sollte sie jeden gewissenhaften Beobachter. Wenn die einen die andern Scharlatane nennen, dann muß man immer nach Belegen fragen. Meinen sie damit moralische oder fachliche Inkompetenz, und woran messen sie beides? Solange ich sehen muß, daß man solche Fragen als Machtfragen und nicht als Sachfragen ansieht, ist meine Schlußfolgerung jedenfalls, daß es nicht einen, sondern viele und möglichst verschiedene Zugangswege zu helfenden Tätigkeiten im Sinne von Psychotherapie geben muß. Niemand sollte ein Monopol beanspruchen.

Und was wissen wir über die Nebenwirkungen von Psychotherapie? So gut wie nichts. Es ist nicht auszuschließen, daß spätere Generationen die Psychotherapie ähnlich beurteilen werden wie wir heute manche früher hochgejubelte zivilisatorische Errungenschaften der Fortschrittgläubigkeit: als eine Form der Umweltverschmutzung. Die Hoffnungen, die manche heute an Psychotherapie knüpfen, stehen in seltsamem Widerspruch zur Technologiefeindlichkeit derselben Kreise.

«Die Bewußtseinsverwüstung unter den Menschen ist größer als die Verwüstung der Natur, die sie anrichten», schreibt der Freiburger Philosoph FRANZ VONESSEN (1978), und er meint, eine nur biologisch orientierte Ökologie stehe auf verlorenem Posten. Ich schäme mich für den nicht unbeträchtlichen Teil, den «Psychologen» zu dieser Verwüstung beigetragen haben

Die Psychotherapie heute ist eine stark personalisierte Angelegenheit zwischen Klient und Psychotherapeut. Hier gibt es keine allgemeingültigen Erfolgswahrscheinlichkeiten abzuschätzen. Und damit ist auch kein Platz für eine öffentliche Kontrolle. Schützt das Reglement den einen Klienten vor einem unfähigen Therapeuten, so führt es den andern in ein Netz von Hoffnungen und Abhängigkeiten. Ich sehe keine Möglichkeit, eine verbindliche Bilanz aufzustellen, welche den Eingriff einer staatlichen Instanz rechtfertigen könnte. Die Fragen, deren Antworten eine Aufsichtsbehörde kennen müßte, um ihre Entscheidungen der Willkür zu entziehen, lauten:

- Was für Verbesserungen? werden durch

- welche Art Verfahren?

- an was für Patienten?

- durch was für Therapeuten?

- unter welchen Bedingungen hervorgebracht? (PARLOFF, 1979)

Die Frage so stellen, heißt aber fürchten, daß jeder Versuch ihrer gründlichen Beantwortung den total verwalteten Menschen voraussetzen muß. Beizufügen wäre noch die Frage:

- was für Nebeneffekten?

Wenn aber Psychotherapie nicht eine instrumentelle Methode ist, dann läßt sich nicht verantworten, sie zum Kristallisationspunkt einer Profession zu machen. Und wenn sie als eine instrumentelle, wissenschaflicht zertifizierte Methode wäre, würde das heissen, dass man also mit Menschen umgeht wie mit Verfahren oder Maschinen. Nach dem Stand der Dinge kann ja die Aufsichtsbehörde dem Klienten nicht garantieren, daß er vom zugelassenen Psychotherapeuten in einer dem Problem des Klienten und seinem Umfeld angemessenen Weise mit Erfolgsaussicht behandelt wird. Nur das könnte doch der Sinn von Aufsicht sein. Man zertifiziert schliesslich Brücken, damit man sich risikolos darauf bewegen kann. Die Analogie zu Menschenbetreuung ist nicht gegebeben.

Von einem Zulassungsverfahren müßte man - schon aus Gründen der Rechtsgleicheit - verlangen, daß es ein gewisses (und eigentlich sehr hohes!) Ausmaß an Gültigkeit im Sinne der Gütekriterien für Selektionstests aufweist. Die magere Evidenz über diesen Punkt ist wenig ermutigend (KOOCHER, 1979). Der Verdacht liegt nahe, daß eine Reglementierung zwar im Namen des Schutzes des Publikums eingeführt wird, in Wirklichkeit aber dazu dient, das Fehlen einer öffentlichen Rechenschaftsablage zu kaschieren (GROSS, 1978).

Es ist bedenklich, unter diesen Umständen von Psychotherapeuten den Nachweis von Kompetenz anhand von Ausbildungskriterien zu verlangen. Nach meinem Rechtsempfinden ist in analogen Fällen die Beweislast umgekehrt. Wir kennen zwei Arten von Einschränkungen in Tätigkeiten, durch die ein öffentliches Interesse in gravierendem Ausmaß tangiert ist. Wenn jemand durch seine Tätigkeit anderen Schaden zufügt bzw. den gesetzten rechtlichen Rahmen sprengt, wird man ihn a posteriori verfolgen und die Wiederholung zu verhindern und die Öffentlichkeit vor ihm zu schützen Vffsuchen. Nur wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die geeignet sind, direkt öffentliche Interessen zu verletzen, auferlegen wir a priori eine Einschränkung. Der Psychotherapeut gefährdet allenfalls den ihn freiwillig aufsuchenden Klienten. Besser als die Regelung der Zulassung zur Tätigkeit wäre also das Aufstellen von Regeln über die Ausübung der Psychotherapie. Ansätze dazu gibt es in den Ethischen Richtlinien der Psychologenverbände (z. B. SGP, 1975). Bei ihrer Verletzung müßten allerdings Sanktionen getroffen werden können. Der Mißbrauch von Psychotherapie muß a posteriori vermindert werden.

Nach diesen prinzipiellen Feststellungen sind wieder einige pragmatische Überlegungen angezeigt.

Ich glaube, daß wir in dieser Zeit drei Wege zur Verbesserung der psychischen Situation vieler Menschen benötigen. In akuter Not müssen sie sich an eine Instanz wenden können, von der Hilfe in aller Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Aber vergessen wir darob nicht den Normalfall der Irrungen und Wirrungen der Lebenswegfindung, der mit Hilfe der Beziehungspersonen des Alltags bewältigt werden sollte.

Für alle jene Fälle, wo die Alltagshilfen nicht ausreichen - und wir sollten sehr Sorge tragen, daß diese Fälle nicht überhandnehmen - ist es angezeigt, psychotherapeutische Dienstleistungen der verschiedensten Art einzurichten. Diese brauchen keineswegs alle auf die heute vorherrschenden Formen wissenschaftlicher Psychologie ausgerichtet zu sein. Was der Klient dann in erster Linie braucht, ist nicht eine Generalgarantie, sondern eine Orientierungshilfe: Information und Beistand, welche dazu beitragen, daß er die für seine Problemsituation optimale beraterische oder therapeutische Hilfe finden kann.

1. Es gibt Problemsituationen und -zustände, für welche psychotherapeutische Hilfe im engeren Sinn angezeigt ist, und wegen der besonderen Natur solcher Zustände ist eine gewisse Schutzaufsicht zu akzeptieren. Aber gerade auch wegen der heiklen Natur solcher Nöte ist die Kontrolle der helfenden Instanz mit allergrößter Sorgfalt im Hinblick auf die persönliche Würde der Hilfesuchenden zu gestalten.

Es wird schwer zu vermeiden sein, solche Nöte anders denn als «Krankheiten» zu verstehen, wenn dies der Hilfesuchende so «wünscht» bzw. von den damit verbundenen Konsequenzen Vorteile davonträgt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich von einer solchen Auffassung auch manche Psychotherapeuten Vorteile versprechen. Mir scheint allerdings, daß die traditionelle Arztrolle nicht genügend Gewähr bietet für eine person-, problem- und umständegerechte Betreuung solcher Patienten. Das gilt natürlich ebenso, wenn diese Rolle auf einen weiteren, nichtmedizinischen Personenkreis ausgedehnt wird. Im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung gibt es jedoch, so weit ich sehe, kein hartes Argument, mit dem verhütet werden könnte, die professionalisierte Psychotherapie von Kranken anders denn als Bestandteil des Gesundheitswesens zu verstehen. Allerdings bin ich überzeugt, daß es nicht in erster Linie der Mensch in der Krise ist, der dazu neigt, seine Probleme unter dem Aspekt von Krankheit zu verstehen, sondern daß das Angebot der «Medizin» ihn dazu verleitet. (Ich formuliere notgedrungen pauschal; natürlich wäre zu differenzieren, um was für Nöte es geht.)

Deshalb plädiere ich dafür, so wenig wie möglich von der Psychotherapie zu professionalisieren und irgendeiner medizinischen Reglementierung zu unterstellen.

2. Wer leidet, ist freilich nicht notwendig auch krank. Genügt denn für denjenigen, der seine Not nicht als Krankheit verstehen will, nicht die private Aufsicht über die Psychotherapie? Wer bei einem Therapeuten Hilfe erfahren oder nicht erfahren hat, kann diese Information den andern zur Verfügung stellen. Spezialisten mit den verschiedensten Vorgehensweisen können entstehen und vergehen, wie es eben ihre tatsächlichen Erfolge oder Mißerfolge rechtfertigen. Für staatliche oder andere öffentliche Dienstleistungsstellen sind Anstellungskriterien ausreichend, die auf die wissenschaftlich fundierte Ausbildung abstellen (und der tatsächliche Erfolg der Therapeuten sollte auch eine Rolle spielen). Die Psychotherapeutenverbände - und es muß nicht ein Einheitsverband sein - könnten die anspruchsvolle Aufgabe wahrnehmen, dafür zu sorgen, daß ihre Mitglieder öffentlich dargelegte berufsethische Grundsätze einhalten. Auch sie können nicht garantieren, daß der Psychotherapeut hilft; sie können aber - und das ist nicht wenig - dafür sorgen, daß der Psychotherapeut ein menschlicher Partner des Patienten ist. Und sie können über seine Ausbildung und über seine Spezialisierung informieren. Das ist die wirksamste Kontrolle, die ich mir vorstellen kann.

3. Ich sehe aber als Hauptaufgabe für die Psychologie, auf eine Welt hinzuarbeiten, in der man zusammen mit seinen Nächsten leben und sich im Regelfall zurechtfinden kann, ohne daß man sich einem fremden Experten für das eigene Selbst überantworten muß.

Ich danke einer großen Zahl von Fachkollegen, die im Lauf der Jahre meiner oft harten Kritik zugehört haben: ohne ihren Widerspruch und ohne ihr Verständnis wäre die vorliegende Stellungnahme nicht möglich gewesen.

 

Literatur

DURLAK, J. A.: Comparative effectiveness of paraprofessional and professional helpers. Psychological Bulletin 86 (1) 1979, 80--92.

FEYERABEND, P.: Against rnethod. 1975. Deutsch u. d. T.: Wider den Methodenzwang: Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie. Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1976.

GROSS, S. J.: The myth of professional licensing. American Psychologist 33 1978, 1009--1016.

HOBI, V.: Einige grundsätzliche Überlegungen zur Reglementierung selbständiger psychotherapeutischer Tätigkeit durch Nicht-Ärzte. Schweiz. Z. Psychologie 38(2) 1979, 97--109.

KOOCHER, G. P.: Credentialing in psychology: close encounters with competence? American Psychologist 34(8) 1979, 696-702.

PARLOFF, M. B.: Can psychotherapy research guide the policymakers? American Psychologist 34(4) 1979, 296-306.

SGP: Ethische Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie. Schweiz. Zeitschrift für Psychologie 34 1975, 362-366.

SMITH, M. L. & G. V. GLASS: Meta-analysis of psychotherapy outcome studies. American Psychologist 32 1977, 752-760.

VONESSEN, F.: Die Herrschaft des Leviathan. Stuttgart, Klett-Cotta, 1978.

 


Anhang:


Alfred Lang
University of Bern, Switzerland

Journal Article 1980

Gegen die Funktionalisierung des Existentiellen

Diskussionsbeitrag

1980-03

@Ethic @SciPol

10 / 21KB  Last revised 98.11.01

Bulletin der Schweizer Psychologen (BSP), 1980, 1 (6), 49-52.

 

In einigen Reaktionen (z.B. HOBI 1979) auf meine Position bezüglich der Psychotherapie-Reglementierung (LANG 1979) glaube ich Missverständnisse zu entdecken, zu deren Klärung die nachfolgenden Bemerkungen in aller Kürze vielleicht dienen können. Sowohl die anthropologischen Voraussetzungen meiner Position wie auch meine wissenschaftstheoretische Orientierung sind in diesem Aufsatz aus naheliegenden Gründen nicht expliziert worden; dies ist auch hier nicht möglich; doch können einige Hinweise zum besseren Verstandnis beitragen.

Ich bin in meinem Beitrag (1979), dessen in weiten Kreisen erstaunlich positive Aufnahme ich eigentlich nicht erwartet hatte, von der Unterscheidung zwischen funktionalen und existentiellen Lebensbereichen ausgegangen. Funktional ist, wofür bei gegebenen Voraussetzungen auf explizierbare Ziele hin spezifizierbare Mittel eingesetzt und das Erreichen jener Ziele mit diesen Mitteln rational überprüft werden kann. Rational heisst dabei einfach: grundsätzlich vernünftig nachvollziehbar; wer sich einer solchen funktionaler Mittel-Ziel-Relation bedient, ist nicht auf Glauben angewiesen, sondern kann mit den Mitteln des Verstandes einigermassen lückenlose Verbindungsglieder zwischen den Vorbedingungen, den einsetzbaren Mitteln oder vermittelnden 'Mechanismen' und den angestrebten Zielen oder zu vermeidenden Zuständen aufzuzeigen.

Wissenschaft ist eine sozial besonders wichtige Form solcher Rationalität, weil sie sich bemüht, über die individuelle Rationalität hinaus eine intersubjektive (manchmal 'objektiv' genannte) Gültigkeit funktionaler Zusammenhänge aufzuzeigen. Angewandte Wissenschaft ist darauf angelegt, alles, was ihr unter die Finger kommt, zu funktionalisieren; es gibt für sie keine andere mögliche Vorgehensweise. Natürlich liegt darin, hat man einmal wie in unserer Kultur mit dieser Weise der Welt- und Lebensbewältigung angefangen, sowohl eine grosse Chance wie eine grosse Gefahr. Obwohl mit wissenschaftlich fundierten Problemlösungen viel Angenehmes geschaffen wird, zeigt die Erfahrung, dass immer zugleich neue Probleme entstehen; das sind die Nebenwirkungen oder die 'Umweltverschmutzung', weil Funktionalisierung immer nur von abgegrenzten Teilbereichen, nie des Ganzen möglich ist. Es ist also unbedingt notwendig, der Wissenschaft und ihrer immanenten Ausdehnungsdynamik Schranken aufzustellen. Ich versuche, solche Schranken in der individuellen Existenz des Menschen und in der autonomen Existenz natürlicher Gruppen zu sehen und zu fördern. Ich komme darauf zurück; man erwarte allerdings nicht, dass ich sagen kann. was das ist: das Existentielle.

Die Psychotherapie oder die Psychologie überhaupt als einen wissenschaft1ich fundierten Beruf auszuüben bedeutet also notwendig eine (wenigstens teilweise) Funktionaliserung der betroffenen Lebensbereiche. Man kann nun die anderen Menschen wie irgendeinen Objektbereich behandeln und eine funktionelle 'Technologie' in verschiedenen Formen auf ihn anwenden. Ich glaube, man muss dies wirklich ein Stück weit tun, einfach weil uns sonst die Funktionalisierung der anderen Lebensbereiche und ihrer Folgen (der Technik, der Arbeitsteilung, der Bevölkerungszunahme, der Urbanisierung, des Verkehrs usf.) über den Kopf wächst. Psycho-soziale Technologie ist dann eine Art Gegen-Technologie oder einfach ein weiteres Glied in der Kette der Technologien, deren spätere immer auch Versuche sind, die von den früheren angerichteten Schäden zu beheben. Psychologen müssen daran interessiert sein, dass ihre Technologie in einer ähnlichen Weise wie die anderen Technologien öffentliche Anerkennung findet. Der Ruf nach Psychotherapeuten-Reglementen und anderen Regelungen ist daher begreiflich. Unter den Psychologen insgesamt bestehen aber immerhin Interessengegensätze, die man nicht übersehen sollte. Ich versuche, die hauptsächlichen Positionen aufzuzeigen:

 
• Erstens gibt es die Psychologen, die ihre Tätigkeit nicht als einen Sozialberuf aufgefasst wissen möchten. Ueber sie ist beispielweise im Tessiner Regolamento dennoch verfügt worden. In anderen wichtigen Verordnungen (Basler Verordnung) und Entwürfen (Kanton Zürich und Sanitätsdirektorenkonferenz) werden sie nicht erwähnt; manche Reglementierungs-Promotoren möchten sie jedoch auf dem Wege der Interpretation mit einschliessen. Es ist zu hoffen. dass in dieser Sache das Bundesgericht ein klares 'Wort' spricht, d.h. verneint, dass für eine Reglementierung aller Psychologenberufe in der Medizinalgesetzgebung eine ausreichende Grundlage besteht (vgl. WINTER 1979). Im längerfristigen Interesse auch der helfenden Psychologen sollte man unbedingt der Psychologie einen weiterreichenden Horizont zugestehen.
 
• Zweitens gibt es unter den Psychologen, welche ihr Wissen und Können unmittelbar zum Besten der leidenden Mitmenschen einsetzen wollen, speziell den Psychotherapeuten, zwei gegensätzliehe Vorstellungen über die dazu geeigneten Mittel: die einen wollen die traditionelle Arztrolle auf den Psychotherapeuten übertragen (dies wird in der Basler Verordnung, im Tessiner Regolamento sowie in den Entwürfen der Zürcher Gesundheitsdirektion und der Sanitätsdirektorenkonferenz formuliert); die andern möchten neben, den kurativen vermehrt präventive und rehabilitative Konzeptionen verwirklichen und längerfristige Entwicklungen zur Verbesserung der psycho-sozialen Situation der Bevölkerung einleiten (dies wird durch die erwähnten Verordnungen und Entwürfe zwar nicht verhindert, aber doch wohl erschwert).
 
• Drittens gibt es Psychologen, die daran zweifeln, dass es sich bei den gegenwärtig verbreiteten psychotherapeutischen Verfahren um eine wissenschaftlich fundierte Technologie mit nachgewiesener Wirksamkeit handelt. Einige von ihnen setzen auf die weitere Entwicklung; andere können etwa den Optimismus von PERREZ & DIAS (1980) grundsätzlich nicht teilen. Sie setzen sich daher entweder für ein möglichst langes Offenlassen der Entwicklungen auf diesem Felde ein oder sie geben zu bedenken, dass solche technologischen Mittel prinzipiell nur in begrenztem Ausmass und mit aller Vorsicht bezüglich Nebenwirkungen einzusetzen seien. Sie warnen vor weiterer Funktionalisierung des Existentiellen.

Nun werden sich freilich die meisten tiefenpsychologisch orientierten,. die 'humanistischen' und andere Psychotherapeuten gegen eine Bezeichnung ihres Tuns als 'Technologie' wehren. Ich möchte hier nicht um eine Terminologie streiten, aber immerhin die Frage aufwerfen, ob eben nicht mit der Charakterisierung des psychotherapeutischen Tuns als 'wissenschaftlich' und mit der Forderung, dieses Tun beruflich nur bei entsprechender Ausbildung und Erfahrung ausüben zu dürfen, genau jene Funktionalität angesprochen ist, auf die ich oben hingewiesen habe.

Auch wenn man betont, dass Psychotherapeuten versuchen, in ihren Klienten nicht nur ein zu behandelndes 'Objekt', sondern auch ein handlungsfähiges 'Subjekt' (in welchem Stadium einer "Krankheit'?) zu sehen, wird man akzeptieren müssen, dass hier ein fundamentales Dilemma besteht: je mehr auf Wissen und Können abgestellt wird, desto geringer ist der Platz für das Existentielle der betroffenen Person oder Gruppe.

Aufgrund dieser Überlegungen müsste man erwarten, dass die Vertreter verschiedener Therapie-Richtungen umso stärker für Zulassungs- und Kontrollverordnungen eintreten, je mehr sie die funktionalen Aspekte ihres Tuns für wichtig halten. Das ist in einem gewissen Ausmass der Fall (z.B. bei Verhaltenstherapeuten auf der einen, bei 'eigentlichen' Psychotherapeuten auf der anderen Seite). Insoweit diese Korrelation nicht stimmt, wäre denkbar, dass andere als sachliche Motive die Einstellungen bestimnen könnten.

Man wird mir auch entgegnen, dass die verschiedenen Psychotherapeuten-'Schulen' ja gerade mit ihren anthropologischen Ansprüchen dem Existentiellen im Menschen gerecht werden wollen. Die Intention sehe ich wohl und ich schätze sie nicht gering; indessen stört mich, dass zusammen mit den funktionalen Aspekten der Psychotherapie gewissermassen die Menschenbilder mitreglementiert werden müssten. Neuere Wissenschaftstheorie macht offensichtlich, dass wissenschaftliche 'Traditionen' niemals eine ihnen immanente Rechtfertigung haben können (GOEDEL; FEYERABEND 1979). Menschenbilder bedürfen eben so sehr oder mehr noch als andere Projekte des Menschen des harten Windes offener Konkurrenz, nicht staatlich geregelter Schutzzonen.

Ich wende mich aus zwei Gründen gegen die professionalisierte und gross angelegte Funktionalisierung des Existentiellen: erstens ist das funktionale Verständnis psycho-sozialer Prozesse viel zu partiell und auch (noch?) zu wenig gut; und zweitens bewegt mich die Sorge um das Existentielle.

 

Literaturangaben

FEYERABEND, P.: Erkenntnis für freie Menschen. Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1979.

HOBI, V.: Antwort auf die Stellungnahmen zur Reglementierung der Psychotherapie. Schweiz. Zeitschrift für Psychologie 38 (4) 1979 337-349.

LANG, A.: Stellungnahme gegen die Reglementierung der Psychotherapie aus der Sicht eines allgemeinen Psychologen und eines besorgten Bürgers. Schweiz. Zeitschrift für Psychologie 38 (4) 1979 290-299.

PERREZ, M. & DIAS, B.: La psychothérapie est-elle efficace? Bulletin Suisse des Psychologues, Mai 1980, 9-14.

WINTER, E.: Staatsrechtliche Beschwerde in Sachen Tessiner Psychologen- und Psychotherapeuten-Reglement: Sachlage und Begründung. Schweiz. Zeitschrift für Psychologie 38 (4) 1979 322-336.